Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
hätten, treffen wir im Hotel in Blenheim ein. Hier ist es bequemer als im Miniflieger, aber es hat weniger Filme als die Business-Class zur Auswahl.
Ich geh nun aber wirklich duschen.
7 | M ARLBOROUGH S OUNDS
Göttliche Kratzer
räfe ich jemals jemanden, der Neuseeland noch nicht kennt und vorhat, es zu bereisen, würde ich ihm raten, die westlichen Felsen im östlichen Teil des Nordens der Südinsel zu besuchen. Vielleicht käme ich ja mit. Es sind die Marlborough Sounds und einfach atemberaubend. Steile Berghänge fallen, fast bis zur Wassergrenze bewaldet, zu tiefen Meeresbuchten ab, die sich kilometerweit ins Landesinnere ziehen. Die Küstenlinie, an der wir jetzt entlangschippern, scheint unendlich lang, und wenn man sie mit fraktaler Geometrie betrachtet, strebt sie dorthin.
Fraktale? Keine »ganzzahlige« Dimension? Ich vermute mal, du möchtest hier nicht auf die gebrochenen Dimensionen verweisen. Vielmehr erinnert mich deine Schilderung an die Überlegungen, die du eigentlich jedes Mal zum Besten gibst, wenn es um die Größe von Ländern geht. Je genauer ich die Grenze vermesse, desto länger wird die Strecke. Die Küste Groß-Britanniens, auf ein Viereck reduziert, ist kürzer als mit 6, 12, oder 19260379 Ecken dargestellt. Wir wollen uns gar nicht ausmalen, was herauskäme, wenn du anfingst, atomare Dimensionen mit in deine Berech nungen hineinzunehmen. Jedes Mal muss ich mir das anhören.
Bei den Recherchen zu diesem doch recht theoretischen Thema fand ich übrigens einen direkten Bezug zwischen Neuseeland und Fraktalen: Denn in der Mathematik gibt es den sogenannten Barnsley-Farn: ein durch Zufall generierter Farn.
In den Marlborough Sounds folgt eine Bucht auf die andere, und in jeder finden sich wieder zahllose Einbuchtungen, die verbuchtet sind und kleine Nebenbuchten beherbergen. Wenn ich jemals eingebuchtet werden sollte, dann hoffe ich, dass es hier ist.
Obwohl diese Meeresarme an norwegische Fjorde erinnern, hinkt der Vergleich, weil die Sounds im Gegensatz zu den Fjorden nicht durch Gletscher entstanden sind.
»Dereinst gab es hier ein riesengroßes Gebirge«, erzählt Jakob uns nun eine Legende, die hier jedes Schulkind kennt. »Gipfel reckten sich gen Himmel, Täler gruben sich tief in die Erde hinab. Doch da machten sich gewaltige Kräfte bemerkbar, Beben erschütterten die Erde, und diese senkte sich demütig ab. Plötzlich brach an einer Stelle Wasser über einen flachen Bergkamm, und die wogenden Massen suchten sich ihren Weg durch die vielen zerklüfteten Schluchten und Täler und füllten sie an, bis nur noch die höchsten Gipfel des einst so mächtigen Gebirges aus dem Wasser ragten.«
Wissenschaftler haben eine weitaus einleuchtendere Erklärung: Um 1400 befuhr Kupe, einer der polynesisch-stämmigen Entdecker Neuseelands, mit einem der großen Hochseekanus, wahrscheinlich dem Ta¯kitimu, die Meerenge zwischen Nord- und Südinsel. Plötzlich wurde er von einem Kraken angegriffen. Kupe besiegte den Oktopus in einem harten Kampf, doch er hielt sich dabei mit einer Hand am Festland fest, wobei seine kräftigen Finger große Furchen ins Festland trieben und Steine und ganze Felsen mit bis zum Meer rissen. So entstand das, was heute die Sounds sind.
Kupe ist wirklich eine Zentralfigur der maorischen Mythen, die sich mit der Besiedelung von Aotearoa aus dem mythischen Land Hawaiki beschäftigen. Bei vielen Stämmen der Maori gibt es Legenden darüber, wie Kupe, der Seefahrer, das Land entdeckte, es mit seinem Kanu umrundete und seine Rätsel löste. Wie es sich für einen Helden gehört, hatte er dabei natürlich so manch schwere Prüfung zu bestehen. Dass es unzählige Variationen des Themas gibt, ist für jahrhundertealte mündliche Überlieferungen relativ normal. Diese unterscheiden sich in der Zahl der Kanus, die mit Kupe übers Meer kamen, in den Orten, an denen er mit seinen Mannen landete, und in den zeitlichen Angaben, in denen sie nur so plus minus 500 Jahre übereinstimmen.
Der frühe Landvermesser und Ethnologe Stephenson Percy Smith veröffentlichte als einer der Ersten eine Fassung der Legende von Kupe. Er wollte dabei den Anschein erwecken, dass es sich hierbei um deren »klassische« Version handle. Quasi der gemeinsame Nenner aller umläufigen Varianten. Interessanterweise gehen heutige Forscher wie David Simmons davon aus, dass Smith nur eine einzige Quelle hatte, deren Version er niederschrieb. Im Zuge der Rückbesinnung auf alte kulturelle Werte und Inhalte
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