Am schönsten Arsch der Welt: Bekenntnisse eines Neuseelandreisenden (German Edition)
wir hätten am East Cape als Erste in Neuseeland die Sonne aufgehen sehen können.
So wählten wir als Transportmittel also das Flugzeug.
Als ordentliche Europäer, die als Vielflieger weltweit unterwegs sind und wissen, dass man mit elektronischen Spezialgeräten wie Kamera, Tonmischer und AAA-Batterien immer sehr viel früher am Flughafen sein sollte, betreten wir natürlich überpünktlich die Abflughalle und wollen uns in die Schlange einreihen.
Doch die gibt es nicht. Der Schalter ist auch nur deshalb schon besetzt, weil sich jemand vom Bodenpersonal der bereits abgefertigten Flüge nicht schnell genug vom Acker gemacht hat. Ein Glück, dass der Flughafen überhaupt geöffnet hat. Wieder einmal stellen wir fest, dass man sich in Neuseeland keinen langen Sicherheitschecks unterziehen muss. Fliegen ist hier wie Busfahren: Man kommt einfach, geht zum Abflugsteig und wartet auf das Gefährt. Hoffentlich müssen wir nicht stehen und uns wie im Bus an so komischen Schlingen festhalten.
Da der Check-in nach kurzer Zeit erledigt ist, setzen wir uns. Jeder sucht sich eine Beschäftigung, die mit Strom zu tun hat. So weit kommt es noch, dass man sich bei einer Internetkampagne direkt miteinander unterhält! Es werden SD-Karten kopiert, Videos geschnitten, an der Kamera technische Einstellungen kontrolliert. Einige schreiben auch an neuen Konzepten für – irgendwas. Jeder beantwortet irgendwelche E-Mails. Ich selbst bestelle Kaffee und skype danach mit Renate, die mir gegenübersitzt. Einfach, weil es geht.
Da wir gerade so viel Zeit haben – vielleicht ist dies der richtige Moment, um den armen Tommy einmal so richtig zu würdigen:
Toll!
So, fertig.
Nein, das war natürlich ein Scherz.
Es ist ja bekannt, dass ein Teil unserer Arbeit darin besteht, die Aufgabe des Tages, die natürlich keine Aufgabe ist, sondern freiwillig von mir erledigt werden wollen muss, filmisch zu dokumentieren. Durch die zwölf Stunden, die wirhierzulande hinter Deutschland zurück sind, ist es uns möglich, die Filme zeitnah ins Internet zu stellen, indem wir nachmittags mit der Nachbearbeitung des aufgenommenen Materials beginnen und es nach Abschluss der Schnitt- und Vertonungstätigkeiten direkt ins Internet hochladen. So steht es in Deutschland ab sieben oder acht Uhr morgens Ortszeit zur Verfügung. Wir haben also in der Regel etwa vier Stunden Zeit, um die Filmspots fertigzustellen. Kein Problem. Hier ein Schnitt, da ein Soundeffekt, dort eine Überblende. Fertig.
Leider haben wir nicht mit Tommys akribischem Perfektionismus gerechnet. Sein Credo: Es sollen ja keine Videos sein, in denen jemand dokumentarisch das eine Bild ans nächste reiht.
Nein, Tommy erzählt kleine Geschichten. Und so folgt Schnitt auf Schnitt. Da eine Einstellung, die mit einer anderen überblendet wird und so einen harmonischen Blumenstrauß facettenreicher Abwechslung bildet.
Als ich am ersten Tag nach zwei Stunden mal sehen wollte, »wie weit du denn so bist, Tommy«, hatte er bereits eine halbe Minute Einleitung geschafft. Es fehlten also noch zwei Minuten dreißig, um den Spaß komplett zu machen …
Das ist in vier Stunden nicht zu schaffen, und so sitzt unser Regisseur Nacht für Nacht, teilweise bis zum Morgengrauen, in seiner kleinen Kemenate. Virtuelle Schere und Klebeband um ihn herum verteilt, Pixelreste im Haar, aber vor allem mit so unglaublichen Augenringen, dass er damit locker die Sommerreifen seines Autos ersetzen könnte.
Von einem netten, sympathischen und immer freundlichen Regisseur verwandelt er sich von Nacht zu Nacht immer mehr in einen Zombie. Gekrümmter Rücken, angeschwollene Lymphknoten, belegte Stimme, Schleier vor den Augen – Tommy ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Aber einesbleibt er immer: freundlich. Man erkennt es nur nicht mehr so deutlich.
Und so sitzt er auch hier am Flughafen und wartet auf den Flieger nach Blenheim. Tief über den Laptop gebeugt, hängen schon Hautfetzen seiner wundgetippten Finger zwischen den Tasten. Speichelfäden verbinden sich mit dem Mousepad. Ich will ihm etwas Gutes tun und lasse ihn in Ruhe. Den anderen besorge ich Kaffee.
Und so gehe ich an die Kaffeebar. Hier in Neuseeland bietet die Bestellung eines Latte Macchiato allerdings eine ziemlich sichere Chance, als Fremder aufzufallen.
»An espresso with bubbled milk«, versuche ich mich verständlich zu machen.
»Bubbled?«
»Okay, creamed«
»Creamed?!«
»Okay: Soda milk. «
Ich rate allen davon ab, sich vorzustellen,
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