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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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mitzuteilen, daß Sara ihre Handtasche bei ihr liegengelassen hatte, ob wir ihr sagen könnten, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. Wir sagten, es wäre uns ein Vergnügen.
    Wie sich zeigte, hatte Sara bereits bemerkt, daß sie ihre Tasche vergessen hatte, und war zurückgefahren, um sie zu holen. Sie wußte daher von dem Anruf und war bei ihrer Rückkehr bestens gewappnet. Wir sollten uns das mal vorstellen, begann sie schon zu klagen, ehe sie richtig durch die Tür war – sie hatte die ganze weite Fahrt zur Schule gemacht, nur um dann hören zu müssen, daß die Probe abgesagt worden war. Ein paar Freunde von ihr, die wußten, wie wichtig diese Modenschau war – der Erlös sollte einer wohltätigen Einrichtung zugute kommen – und sie zu einem echten Hit machen wollten, hätten daraufhin beschlossen, die Probe bei irgend jemandem zu Hause unter eigener Regie abzuhalten. Es hätte überhaupt keine Party stattgefunden. Sie hätten den ganzen Abend geschuftet wie die Sklaven und erst vor einer Stunde Schluß gemacht, als sie absolut sicher gewesen wären, daß dies die beste Modenschau überhaupt werden würde. Und wenn wir ihr nicht glaubten, schloß sie mit trotziger Gebärde, dann sei das unser Problem, und wir könnten ihr nur leid tun. Als sie endlich fertig war, hatte sie sich in einen selbstgerechten Zorn von fast biblischen Ausmaßen hineingesteigert. Wieso wir ihr nicht vertrauten? Was wir doch für erbärmliche Eltern seien! Und wie wir überhaupt dazu kämen, ihre Freunde auszuhorchen?
    Sie erhielt zwei Wochen Hausarrest.
    »Ach, ihr könnt mich mal!« schrie sie und stürmte aus dem Zimmer.
    »Nimm dich in acht!« warnte ich.
    »Nimm dich selber in acht, Frau Therapeutin!« Sie knallte ihre Zimmertür zu.
    »Dafür gibt’s eine Woche extra«, rief Larry ihr nach. Ihre Reaktion war ein krachender Tritt gegen die noch zitternde Zimmertür.
    Sekunden später kam Michelle auf Zehenspitzen aus ihrem
Zimmer geschlichen und fixierte Larry und mich mit vorwurfsvollem Blick. »Ihr wißt doch, daß Hausarrest gar nichts bringt«, sagte sie mit strengem Tadel, der durch das Teddybärnachthemd, das sie anhatte, etwas an Gewicht verlor. »So was macht Kinder nur wütend.«
    Sie hat recht, dachte ich. »Geh wieder in dein Bett«, sagte ich.
    Aber natürlich war Sara nicht nur ein Satansbraten, der uns das Leben zur Hölle machte. Sie ist nicht nur ein sehr kreativer junger Mensch, wie sich das in vielen ihrer Tiraden offenbarte, sondern sie ist auch weich und verletzlich, im Grunde sehr warmherzig. Sara ist ein Kind, das in einem Frauenkörper eingeschlossen ist. Sie ist einfach noch nicht bereit, erwachsen zu werden.
    Ich erinnere mich an den Tag, als sie ihre erste Periode hatte. Sie war fünfzehn Jahre alt, das ist ziemlich spät, und sie hatte das Mutter-Tochter-Gespräch, das wir über diese Dinge einmal geführt hatten, längst vergessen. Sie nahm die Binden, die ich ihr gab und trottete so trotzig aus dem Zimmer, als hätte ich ihr diese Pest an den Hals gewünscht. Am nächsten Morgen fragte ich, ob die Binden sie beim Schlafen gestört hätten.
    Sie sah mich entsetzt an. »Heißt das, daß man die auch nachts tragen muß?«
    Darüber kann ich noch heute lachen, ebenso bei der Erinnerung an ihren Abscheu vier Tage später. »Wie lange dauert das eigentlich?« fragte sie entrüstet. Ich brachte es nicht übers Herz, ihr zu sagen, daß sie weitere fünfunddreißig Jahre damit rechnen müsse.
    Eines Abends half Sara mir widerwillig dabei, das Geschirr in die Spülmaschine zu räumen. Ich hatte alle Gläser auf einer Seite aufgereiht. Eines, das in der Reihe keinen Platz mehr gehabt hatte, stellte ich auf die andere Seite des Spülers. Sara nahm sofort ein Glas aus meiner akkuraten Reihe und stellte es neben das einzelne. »Sonst fühlt es sich ja ganz einsam«, erklärte sie.
    Ich war gerührt. Ich drückte sie an mich und sagte ihr, daß ich sie liebhabe. Sara ließ meine Umarmung über sich ergehen, brummelte irgend etwas davon, daß sie mich auch liebhabe, und verschwand.

    Wie soll man nun dieses liebevolle, unschuldige Geschöpf, das sich über die Gefühle schmutzigen Geschirrs Gedanken macht, mit dem wütenden Schreihals in Einklang bringen, der nicht zu begreifen scheint, daß auch Menschen Gefühle haben?
    »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm«, sage ich zu meinen Klienten, wenn ich versuche, sie – und zweifellos auch mich selbst – zu beruhigen und davon zu überzeugen, daß das Leben

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