Am Seidenen Faden
dir sehr gern glauben«, begann ich. »Du weißt, wie gefährlich Zigaretten sind, und ich weiß, daß ich dich nicht vierundzwanzig Stunden am Tag überwachen kann. Wenn du also rauchen willst, dann wirst du auch rauchen. Ich hoffe nur, wenn du tatsächlich rauchst, bist du gescheit genug aufzuhören, bevor du abhängig wirst.«
Dabei ließ ich es bewenden. Natürlich rauchte sie, natürlich war sie nicht klug genug aufzuhören, bevor sie abhängig wurde. Wieso überraschte mich das?
Den zehn leeren Zigarettenpackungen folgten fünf Flaschen Bier, die ich in ihrem Kleiderschrank fand, als ich nach der weißen Bluse suchte, die zu bügeln sie mich gebeten hatte. Wie ich dazu käme, in ihrem Schrank herumzuschnüffeln! brüllte sie mich später an, als hätte ich wissen müssen, daß ihre weiße Bluse zusammen mit dem größten Teil ihrer übrigen irdischen Besitztümer in einem wüsten Haufen auf dem Boden lag. Und natürlich gehörte das Bier nicht ihr – sie hatte es nur für eine Freundin in Verwahrung genommen.
Es folgte der Tag, an dem sie die Schule schwänzte, um in Fort Lauderdale einkaufen zu gehen; das Wochenende, an dem sie heimlich nach Miami fuhr, um die Grateful Dead zu sehen. Ich bin sicher, ich war nicht die einzige Mutter, die das Hinscheiden Jerry Garcias ohne Trauer zur Kenntnis nahm, so sehr mir seine Musik in meiner Jugend gefallen hatte.
Pullover verschwanden aus meinen Schubladen. Die Hälfte unserer CDs ging verloren. Sara stahl Geld aus meinem Portemonnaie und leugnete es. Aus dem anhänglichen kleinen Wesen, das mich einst mit beinahe andächtiger Bewunderung betrachtet hatte, war ein Geschöpf geworden, das mich mit solcher Verachtung anfunkelte, daß es mich bis ins Innerste erschütterte. Ich sagte mir, daß diese Veränderung nur Ausdruck einer Übergangsphase sei, das Mittel, das Sara unbewußt gewählt hatte, um sich von mir zu lösen und ein eigenständiger Mensch zu werden. Aber es tat dennoch weh. Eben darauf bereiten die psychologischen Lehrbücher einen nicht vor – wie schmerzhaft das ist.
Tatsächlich schmerzen die Lügen mehr als alles andere, weil sie das Vertrauen zerstören und es schrecklich weh tut, dem Menschen, den man liebt, nicht vertrauen zu können.
Die Wahrheit war allerdings nicht tröstlicher. Wenige Wochen nach ihrem sechzehnten Geburtstag teilte Sara mir unbekümmert mit, daß sie nicht mehr unschuldig war. Ich wußte, daß sie
keinen festen Freund hatte, und war deshalb, gelinde gesagt, ziemlich erschüttert. Ich murmelte etwas davon, daß ich hoffe, es sei eine erfreuliche Erfahrung für sie gewesen, und hielt ihr dann einen Vortrag über die Gefahren des Geschlechtsverkehrs ohne Schutz in der heutigen Gesellschaft, wahrscheinlich weil ich Angst hatte, wenn ich zu reden aufhörte, würde sie mir noch irgend etwas erzählen, was ich nicht hören wollte. Sie versicherte mir, sie wisse alles über Aids und die Notwendigkeit von Kondomen, und erklärte mit Nachdruck, sie sei schließlich kein Kind mehr. Dann bat sie mich, sie zum Schallplattengeschäft zu fahren.
Etwa um die gleiche Zeit gestand sie, mit Drogen experimentiert zu haben. Nur ein bißchen Gras und Acid, sagte sie mit einem Achselzucken. Nicht der Rede wert; wir müßten uns deswegen nicht unsere altmodischen Köpfe zerbrechen. Sie erinnerte uns daran, daß ja unsere Generation praktisch die Halluzinogene erfunden habe; worauf ich sie daran erinnerte, daß sie noch immer verboten seien, daß sie mit dem Feuer spiele und wir sie hinauswerfen würden, sollten wir jemals Drogen im Haus finden.
»Das hab ich nun von meiner Ehrlichkeit«, erhielt ich als Antwort.
Sie ließ sich nachts anrufen, ganz gleich, wie spät es war. Da wir nur einen Telefonanschluß haben, weckte das Läuten jedesmal das ganze Haus. Ich sagte ihr, das müsse aufhören; sie sagte, wir könnten ihr nicht etwas zum Vorwurf machen, worüber sie keine Kontrolle hätte. Ich erklärte, es sei ihre Aufgabe, ihren Freunden zu sagen, daß sie nach elf Uhr abends nicht mehr anrufen sollten. Sie erklärte, ich sollte mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern. Der Streit endete damit, daß Larry in ihr Zimmer rannte und buchstäblich ihr Telefon aus der Wand riß. Damit war dieses Problem so gut wie erledigt.
Durch einen Telefonanruf erfuhren wir, daß Sara in Wirklichkeit gar nicht in die Schule gefahren war, um für die bevorstehende Modenschau zu proben. Eine Freundin, hörbar beschwipst,
rief um zwei Uhr morgens an, um uns
Weitere Kostenlose Bücher