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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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früher oder später wieder normal wird, daß Teenager wie Sara wieder menschliche Wesen werden. Vorausgesetzt, sie leben lange genug.
    Ist es wahr, daß wir die Kinder bekommen, die wir brauchen?
    Es würde mich interessieren, was meine Mutter dazu sagen würde.
    Nun also, um meine eigene Frage zu beantworten, ich weiß nicht, ob ich irgend etwas von dem, was später geschah, hätte verhindern können, wenn ich mich gleich zu Beginn anders verhalten hätte. Hinterher ist man ja immer schlauer, wie es so schön heißt. Man tut eben sein Bestes. Manchmal reicht es. Manchmal nicht.
     
    Alle Bitten Jo Lynns, sie auch am kommenden Mittwoch wieder zum Gericht zu begleiten, lehnte ich eisern ab, mit der Begründung, daß weder Colin Friendly noch ihre Absichten bezüglich seiner Person mich auch nur im geringsten interessierten. In Wahrheit jedoch hatte ich begonnen, den Fall sowohl in der Zeitung als auch im Fernsehen sehr genau zu verfolgen. In der vergangenen Woche hatte der Staatsanwalt eine Reihe von Zeugen aufgerufen, mit deren Hilfe er nachgewiesen hatte, daß zwischen Colin Friendly und mindestens acht der ermordeten Frauen eine direkte Verbindung bestanden hatte. Ein älterer Mann sagte aus, er habe beobachtet, wie eine der Frauen am Tag ihres Verschwindens Colin Friendly, der sie nach einer Straße gefragt hatte, Auskunft gegeben hatte; eine Frau, der die Tränen aus den Augen liefen, bezeugte, sie habe ihn auf einer Bank im Park sitzen sehen, in dem ihre Freundin regelmäßig ihren Hund spazierenführte. Der
Hund war später von ein paar Kindern gefunden worden, als er, seine Leine hinter sich herziehend, ziellos durch die Straßen in der Nähe geirrt war. Seine Eigentümerin – besser gesagt, das, was von ihr übrig war – war vier Monate später von Campern in der Nähe vom Okeechobee-See gefunden worden. Der Pathologe hatte festgestellt, daß sie vergewaltigt und geschlagen und dann mit nicht weniger als sechsundachtzig Messerstichen getötet worden war.
    Bis zum Mittwoch war der Gerichtsmediziner bereits zwei volle Tage gehört worden. In detaillierter Ausführlichkeit hatte er die Verletzungen eines jeden Opfers beschrieben und erläutert, wie sie zustande gekommen waren. Er trug seine Erkenntnisse in sachlichem Ton vor, leidenschaftslos und ohne Emotionen. Opfer Nummer eins, Marie Postelwaite, fünfundzwanzig Jahre alt, Krankenschwester im J. F. Kennedy Memorialkrankenhaus, war vergewaltigt, geschlagen, durch zahlreiche Messerstiche verletzt und mit ihrer eigenen weißen Strumpfhose erdrosselt worden; die Strumpfhose war so fest um ihren Hals geschnürt, daß sie beinahe enthauptet worden war. Opfer Nummer zwei, Christine McDermott, fünfunddreißig Jahre alt, Grundschullehrerin und Mutter von zwei Kindern, war vergewaltigt, geschlagen, durch zahlreiche Stichwunden verletzt und mehrfach gebissen worden. Opfer Nummer drei, Tammy Fisher, sechzehn Jahre alt, Schülerin, war vergewaltigt, geschlagen und durch zahlreiche Messerstiche verletzt worden, ehe ihr der Mörder die Kehle durchgeschnitten hatte. Und so ging es weiter bis zu Opfer Nummer dreizehn, Maureen Elfer, siebenundzwanzig Jahre alt, jung verheiratet, vergewaltigt, geschlagen, durch Messerstiche verletzt und im wahrsten Sinne des Wortes ausgeweidet. Kleine Variationen zum selben grausigen Thema.
    Mir diese grauenhaften Details auch noch anhören zu müssen, sei das letzte, was ich wollte, hatte ich meiner Schwester erklärt, als sie mich am Dienstagabend angerufen hatte. Es reichte mir vollauf, von diesen Greueln in der Zeitung zu lesen. Ob sie denn noch immer nicht genug hätte, fragte ich.
    »Was soll das heißen? Das ist doch erst der Anfang.« Die gerichtsmedizinischen
Beweise seien höchst suspekt, wahrscheinlich nicht einmal objektiv, erklärte sie, als wäre sie eine Expertin. Es sei doch bekannt, daß DNA-Tests nicht absolut zuverlässig seien. Der Gerichtsmediziner arbeite Hand in Hand mit dem Staatsanwalt. Ich solle nur warten, bis die Verteidigung ihn auseinandernehme.
    Mir fiel mein Besuch in dem häßlichen alten Gebäude in der Gun Club Road ein. Ich hatte meiner Schwester davon erzählt, in der Hoffnung, sie damit zur Vernunft zu bringen. Es war mir nicht gelungen.
    »Colin wird freigesprochen werden. Du wirst schon sehen«, behauptete sie, weiterhin treu zu ihm stehend, obwohl er auf ihren Brief nicht reagiert hatte. Nun, wenigstens war hier einer bei klarem Verstand, dachte ich erleichtert.
    »Ich möchte bloß wissen, ob sie

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