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Am Seidenen Faden

Titel: Am Seidenen Faden Kostenlos Bücher Online Lesen
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wie sich erwies, relativ einfach und dauerte keine zehn Minuten, in denen die Ärztin mir klar und deutlich und detaillierter, als mir im Grunde lieb war, erklärte, was sie tat. »Jetzt werden Sie vielleicht gleich das Gefühl haben, dringend zur Toilette zu müssen«, sagte sie, Sekunden bevor mein Bauch sich in einer Folge von Krämpfen zusammenzuziehen begann.
    Als Dr. Wong fertig war, hielt sie mir einen kleinen Glasbehälter vor die Nase. Darin befanden sich zwei kleine rote Kügelchen, ungefähr von der Größe großer Preiselbeeren. »Sehen Sie«, sagte sie beinahe stolz. »Das sind Ihre Polypen.«
    Zwillinge, dachte ich benommen, dann brach ich in Tränen aus.
    Ich sollte zwei Wochen später bei ihr anrufen, um nachzufragen,
ob es Probleme gäbe. Ich kann mich jetzt nicht erinnern, ob ich es getan habe. Ich war mitten drin in diesem ganzen Wahnsinn. Es ist durchaus möglich, daß ich es vergessen habe.
    Drüben auf der anderen Straßenseite tut sich was. Ich kann es von meinem Fenster aus sehen. Ich sitze an meinem Schreibtisch im Arbeitszimmer, einem kleinen Raum voller Bücher im vorderen Teil des Hauses. Ob die Polizei wohl eine Beschreibung des Hauses haben möchte? Ich werde auf jeden Fall eine beifügen, obwohl sie das Haus bestimmt bestens kennen. Sie waren oft genug hier; sie haben genug Fotos gemacht. Aber der Ordnung halber: Das Haus ist ein relativ großer Bungalow mit sechs Zimmern. Die Zimmer der Mädchen sind rechts von der Haustür, unser Schlafzimmer ist links hinten. Dazwischen sind der Salon und das Eßzimmer, vier Badezimmer und ein großer offener Raum mit Küche, Frühstücksecke und dem Wohnzimmer, dessen Rückwand aus einer Reihe großer Fenster und Glasschiebetüren mit Blick auf den nierenförmigen Swimmingpool im Garten besteht. Die Räume sind hoch, an den Decken verteilt sind Ventilatoren wie der, der sich gerade leise summend über meinem Kopf dreht; die Böden sind aus Keramikfliesen. Nur die Schlafzimmer und das Arbeitszimmer sind mit Teppich ausgelegt. Die vorherrschende Farbe ist Beige, mit Akzenten in Braun, Schwarz und Pflaumenblau. Larry hat das Haus gebaut; ich habe es eingerichtet. Es sollte unsere Zuflucht sein.
    Ich glaube, ich weiß, was drüben, auf der anderen Straßenseite, vorgeht. Es passiert nicht das erste Mal. Mehrere große Jungen schikanieren zwei kleinere, damit sie zu uns herüberlaufen und an die Tür klopfen. Die Großen lachen, machen sich über die Kleinen lustig, puffen und stoßen sie, nennen sie herausfordernd Feiglinge. Ihr braucht nur zu läuten und sie zu fragen, kann ich sie hören, obwohl außer ihrem grausamen Gelächter kein Laut mich erreicht. Na los, läutet bei ihr, dann lassen wir euch in Ruhe. Die beiden Kleinen – ich glaube, der eine ist der sechsjährige Ian McMullen, der am Ende der Straße wohnt – straffen die Schultern und fixieren das Haus. Noch ein Stoß, und sie stolpern vom
Bürgersteig auf die Fahrbahn, schleichen den Gartenweg herauf, die kleinen Finger schon zum Läuten ausgestreckt.
    Und dann sind sie plötzlich weg, rennen wie gejagt die Straße hinunter, obwohl die großen Jungen sich bereits abgewandt haben und in der anderen Richtung davonlaufen. Vielleicht haben sie bemerkt, daß ich sie beobachte; vielleicht hat jemand sie gerufen; vielleicht hat am Ende doch die Vernunft gesiegt. Wer weiß? Was immer sie auch veranlaßt hat, kehrtzumachen und davonzulaufen, ich bin froh darüber, obwohl ich schon halb aus meinem Sessel aufgestanden bin.
    Das erstemal passierte es, kurz nachdem die Geschichte auf den Titelseiten erschienen war. Die meisten Leute waren sehr zurückhaltend, aber es gibt immer einige, die mit dem, was sie zu lesen bekommen, nicht zufrieden sind, die mehr wissen wollen, die der Meinung sind, sie hätten ein Recht darauf. Die Polizei hat es geschafft, uns die meisten dieser Leute vom Leib zu halten, aber ab und zu ist es kleinen Jungen wie diesen doch gelungen, zu unserer Haustür vorzudringen.
    »Was wollt ihr denn?« höre ich mich in der Erinnerung fragen.
    »Ist es hier passiert?« erkundigen sie sich mit nervösem Gekicher.
    »Was denn?«
    »Sie wissen schon.« Pause, sensationslüsterne Blicke, Versuche, an meiner unverrückbaren Gestalt vorbeizuspähen. »Können wir mal das Blut sehen?«
    Etwa zu diesem Zeitpunkt schlage ich ihnen die Tür vor den neugierigen Nasen zu, wenn ich auch zugeben muß, daß es mich auf eine perverse Art lockt, sie höflich hereinzubitten, durch das Haus nach hinten zu

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