Am Sonntag stirbt Alison
mit Schlafanzügen und Bademänteln bekleidet und von den Feuerwehrleuten notdürftig in Decken gehüllt worden. Ein Hotelgast im gestreiften Pyjama stritt sich mit einem Feuerwehrmann, der ihm energisch erklärte, dass er nicht ins Gebäude zurück und sein Notebook holen könne, solange nicht eindeutig sicher war, dass keine Gefahr bestand.
Ein weiterer Sanitäter näherte sich und beugte sich zu Sebastian hinunter, der stöhnend neben Leo auf den Boden gesackt war, und irgendjemand brachte Sibel ein Paar Wegwerfschuhe, die aussahen wie blaue Plastiktüten mit Gummizug und die Sibel entsetzt anstarrte. Eine Polizistin kam zu Lys, fragte sie nach ihrem Namen und ihrer Adresse. Lys antwortete automatisch, ohne recht zu begreifen, was sie da tat. »Kannst du uns erzählen, was passiert ist?«, fragte die Polizistin.
Lys sah zu Anna hinüber. Sie stand mit verschränkten Armen neben einem Polizeiauto, sprach mit einem Polizeibeamten, der offenbar eine leitende Funktion innehatte. »Wer ist sie?«, fragte sie.
»Wer?« Verwirrt folgte die Polizistin Lys’ Blick. »Die Frau da?«
»Ist sie von der Polizei? Eine verdeckte Ermittlerin?«
Die Polizistin machte große Augen. »Na, du schaust wohl zu viele Krimis, was?«, fragte sie. »Also, kannst du mir jetzt erklären, was hier überhaupt los war?«
Lys begann zu berichten. Sie sagte nichts von Alison und München, sie erzählte nur von der Internetnachricht, aufgrund derer sie geahnt hatten, dass eine junge Frau im Haus der Berghäusers in Lebensgefahr sei. Und dass die Bonner Polizei ihnen keinen Glauben geschenkt hatte, weshalb sie selbst dort nach dem Rechten sehen wollten und daraufhin von Herrn Berghäuser und seiner Nichte angegriffen worden seien. Die Polizistin machte sich ein paar Notizen und meinte dann, das reiche für den Moment, sie würden sich später noch mal bei ihr melden, und zog weiter, um Sibel zu befragen.
Lys ging zu Sebastian und Leo hinüber. Sebastian grinste ihr schief entgegen. »Leute, ich glaube, wir haben es geschafft«, sagte er. »Jetzt bringt uns keiner mehr um.«
Leo, der mittlerweile einen eindrucksvollen Verband um den Kopf hatte, nickte abwesend.
»Geht es Ihnen gut?« Anna, die Putzfrau, hatte ihr Gespräch mit dem Polizisten offenbar beendet. Sie trat näher und betrachtete Leo aus zusammengekniffenen Augen.
Leo zuckte mit den Schultern.
»Kopfschmerzen?«, fragte Sibel mitfühlend.
Leo schüttelte den Kopf. Einen Moment lang starrte er zum Hotel hinüber, zu den Blaulichtern der Löschzüge, zu den aufgeregt tuschelnden Gästen. »Alison«, murmelte er.
»Ja. Alison«, sagte Lys leise.
»Wisst ihr, als ich gestern glaubte, wir hätten sie gerettet… ich war so erleichtert«, begann Leo zögernd. »Und jetzt… All die Jahre, in denen wir immer noch Hoffnung hatten. Und sie war die ganze Zeit längst tot. Es war alles umsonst.«
»Nein«, sagte Sebastian. »Wir haben Christine Saier gerettet. Ohne uns hätten diese Irren sie auch noch umgebracht, nur um Alisons Mafia-Oma eine Leiche präsentieren zu können.«
Anna lächelte Leo an. »Irgendwann muss man die Vergangenheit ruhen lassen, Leo«, sagte sie. »Ich bin mir sicher, Alison wäre stolz auf dich. Auf euch alle. Und dankbar, dass ihr ein weiteres Verbrechen, das ihretwegen begangen werden sollte, verhindert habt. Also«, sie warf einen Blick in die Runde, »ich denke, ich muss los. Alles Gute. Erholt euch von euren Abenteuern!«
Lys sah Anna hinterher, als sie zu ihrem Motorrad lief, das auf einem Parkplatz nahe der Eingangstür stand. »Moment mal«, sagte sie langsam.
Anna setzte ihren Helm auf und startete den Motor. Das Motorrad fuhr langsam zwischen den abgestellten Fahrzeugen hindurch und hielt neben dem Polizeiauto, in das man gerade Julia Sommer und ihren Onkel setzen wollte. Julia begann zu kreischen, als sie sie sah. »Du Miststück!«, schrie sie. »Das ist der Dank dafür, dass wir dich eingestellt haben, obwohl du keine Papiere hattest? He, Sie, Wachtmeister, verhaften Sie diese Frau, sie hat illegal gearbeitet!« Der Polizist an ihrer Seite sah sie an, als ob sie nicht alle Tassen im Schrank hätte.
Lys fuhr hoch. »Die Karte! Die Karte aus Colmar an Alisons Mutter! Alison hat sie eine Woche nach ihrem Verschwinden geschrieben!«
Drei Meter von ihr entfernt klappte Anna, die Putzfrau, das Visier ihres Helms hoch und lächelte Julia Sommer an. »Ich hätte da noch eine Bitte«, sagte sie laut und vernehmlich. »Wenn Sie irgendwann – falls
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