Am Strand
ihren künftigen Gatten »aufsparten«. Und es war keine Frage -hatte man Sex mit einer von ihnen, mußte man sie heiraten. Zwei Freunde, beides talentierte Fußballer, entschieden sich für diesen Weg, heirateten im zweiten Studienjahr und verschwanden prompt von der Bildfläche. Einer der beiden Pechvögel wurde für Edward zum besonders abschreckenden Beispiel. Er hatte ein Mädchen aus der Universitätsverwaltung geschwängert, woraufhin er, so seine Freunde, »vor den Altar geschleppt« und ein Jahr nicht mehr gesehen wurde, bis man ihn auf der Putney High Street dabei ertappte, wie er einen Kinderwagen schob, für jeden Mann damals noch schrecklich blamabel.
Zeitungen brachten Gerüchte über die Pille, lachhafte Versprechungen, noch eine dieser übertriebenen Geschichten aus Amerika. Der Blues, den Edward im Hundred Club hörte, raunte ihm zu, daß um ihn herum, bestimmt gleich um die nächste Ecke, Männer in seinem Alter phantastischen, grenzenlosen Sex hatten, reich an Befriedigungen aller Art. Die Popmusik war in dieser Hinsicht noch ziemlich nichtssagend und verklemmt, Filme wurden etwas deutlicher, doch in Edwards Kreisen mußten sich Männer mit dem Erzählen zweideutiger Witze zufriedengeben, mit verschämten Sexprotzereien und ausgelassener Kumpanei, zu der sie sich durch maßlosen Alkoholkonsum hinreißen ließen, der wiederum ihre Chancen verringerte, je ein Mädchen kennenzulernen. Der gesellschaftliche Wandel aber schritt stetig voran. Es gab Gerüchte, laut denen im Englischen Seminar, an der Straße zum Seminar für Orientalistik und Afrikanistik und am Kingsway in der London School of Economics Männer und Frauen mit engen schwarzen Jeans und schwarzen Rollkragenpullovern häufig schnellen Sex hatten, ohne vorher die Eltern ihrer Partner kennenzulernen. Sogar von Joints war die Rede. Manchmal schlenderte Edward probeweise vom Geschichtsseminar zum Englischen Seminar und hoffte, Spuren vom Paradies auf Erden zu entdecken, doch die Korridore, die Anschlagbretter und selbst die Frauen sahen hier nicht anders aus als sonst.
Florence wohnte am anderen Ende der Stadt unweit der Albert Hall in einem hochanständigen Wohnheim für Studentinnen, in dem um elf Uhr abends das Licht gelöscht wurde, männlicher Besuch zu jeder Tages- und Nachtzeit unerwünscht war und die Bewohnerinnen unaufhörlich von einem ins andere Zimmer huschten, um sich gegenseitig zu besuchen. Sie übte fünf Stunden am Tag und ging mit ihren Freundinnen häufig in Konzerte. Am besten gefiel ihr die Kammermusik in der Wig-more Hall, vor allem die Streichquartette; manchmal hörte sie sich fünf Aufführungen in der Woche an, sei es mittags oder am Abend. Sie liebte den düsteren Ernst des Gebäudes, die grauen, abblätternden Wände hinter der Bühne, das blankpolierte Holz und den dunkelroten Teppich im Foyer, das vergoldete Tunnelgewölbe des Konzertsaals und die berühmte Kuppel über der Bühne, die, so hatte man ihr erklärt, das Streben der Menschen nach Höherem verkörperte und den Genius der Harmonie durch einen Flammenball ewigen Feuers darstellte. Sie mochte die alten Leute, die Minuten brauchten, um aus ihren Taxis zu steigen, diese letzten Vik-torianer, die am Stock zu ihren Plätzen schlurften, um in wachem, kritischem Schweigen zuzuhören, die mitgebrachte Decke über den Knien. Diese Fossilien mit ihren knöchernen, andächtig der Bühne zugeneigten Schädeln waren für Florence die Verkörperung von Kunstsinnigkeit und weisem Urteilsvermögen oder gar musikalischer Erfahrung, der die arthritischen Finger nicht länger Ausdruck verleihen konnten. Außerdem war es einfach aufregend zu wissen, daß so viele berühmte Musiker aus aller Welt schon in der Wigmore Hall gewesen waren und große Karrieren auf ebendieser Bühne ihren Anfang nahmen, auf der sie auch die sechzehnjährige Cellistin Jacqueline du Pre bei ihrem ersten Auftritt erlebt hatte. Für eine Violinistin war ihr Geschmack nicht ungewöhnlich, dafür aber ziemlich ausgeprägt. Eine Zeitlang schlug sie Beethovens Opus 18 in den Bann, dann seine späten Streichquartette. Darauf Schumann, Brahms und in ihrem Abschlußjahr die Quartette von Frank
Bridge, Bartok und Britten. Während ihrer Studienjahre hatte sie Musik all dieser Komponisten in der Wigmore Hall gehört.
Im zweiten Jahr erhielt sie einen Teilzeitjob hinter der Bühne, kochte Tee für die Künstler im geräumigen Grünen Salon und kauerte am Vorhangspalt, um rechtzeitig die Tür öffnen zu
Weitere Kostenlose Bücher