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Am Strand

Am Strand

Titel: Am Strand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian McEwan
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England noch nie verlassen, von einem Ausflug nach Schottland einmal abgesehen, wo er auf der Halbinsel Knoydart die drei Munros bestiegen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben probierte er Müsli, Oliven, frischgemahlenen schwarzen Pfeffer, Brot ohne Butter, Sardellen, nur kurz angebratenes Lamm, anderen Käse als Cheddar, Ratatouille, Salami, Bouillabaisse, ganze Mahlzeiten ohne Kartoffeln und - die größte Herausforderung - eine rosige, fischig riechende Paste namens Tarama salata. Vieles schmeckte leicht ekelig und irgendwie gleich, doch war er fest entschlossen, keinen unkultivierten Eindruck zu machen. Manchmal aber wurde ihm fast übel, wenn er das Essen allzu rasch in sich hineinschlang.
    Einige dieser Neuerungen gefielen ihm auf Anhieb: frischgemahlener Filterkaffee, Orangensaft zum Frühstück, Confit de canard, frische Feigen. Er konnte ja nicht ahnen, welche Ausnahmestellung die Pontings einnahmen, eine Oxforder Universitätsprofessorin, verheiratet mit einem erfolgreichen Geschäftsmann; dazu kam, daß Violet zeitweilig vmit der bekannten Kochbuchautorin Elizabeth David befreundet gewesen war, weshalb sich in ihrem Haushalt gewissermaßen die Morgenröte einer kulinarischen Revolution zeigte - falls sie ihren Studenten nicht gerade Vorträge über Leibniz’ Monaden oder den kategorischen Imperativ hielt. Edward registrierte diese häuslichen Umstände, ohne den exotischen Überfluß wahrhaben zu wollen. Er nahm an, daß es für Universitätsdozenten normal war, so zu leben, und er hätte sich nie die Blöße gegeben, allzu beeindruckt zu wirken.
    Dabei war er wie verzaubert und kam sich vor, als lebte er in einem Traum. Sein Verlangen nach Florence war in jenem warmen Sommer untrennbar mit der Kulisse verknüpft - den hohen, weißen Räumen und ihren staubfreien, vom Sonnenlicht erwärmten Holzböden, der kühlen Luft, die durch die offenen Fenster aus dem grünen Garten hereinwehte, den duftenden Blüten und den frisch ausgepackten Bücherstapeln in der Bibliothek - der neue Roman von Iris Murdoch, einer Freundin Violets, der neue Nabokov, der neue Angus Wilson -, aber auch mit dem ersten Stereoplattenspieler seines Lebens. Florence zeigte ihm eines Morgens die nackten, orange glühenden, aus einem eleganten, grauen Gehäuse ragenden Verstärkerröhren mitsamt den dazugehörigen hüfthohen Boxen und legte für ihn dann in voller Lautstärke Mozarts Haffner Symphonie auf. Die kühne Klarheit des Oktavsprungs gleich zu Beginn - ein ganzes Orchester tat sich vor ihm auf - riß ihn dermaßen mit, daß er eine Faust hob und Florence, ohne einen Gedanken daran, wer ihn außer ihr hören konnte, laut zurief, er liebe sie. Das hatte er noch nie gesagt, weder ihr noch sonst jemandem. Still wiederholte sie seine Worte und lachte vor Freude, weil er sich endlich einmal für klassische Musik begeisterte. Er lief durch das Zimmer auf sie zu und wollte mit ihr tanzen, doch die Musik wurde so schnell und aufgewühlt, daß sie abrupt stehenblieben, sich umarmten und von den Klängen umtosen ließen.
    Wie hätte er sich vormachen können, daß dies nach seinem beengten Leben keine außergewöhnlichen Erfahrungen waren? Doch es gelang ihm, einfach nicht weiter darüber nachzudenken. Seinem Wesen nach war er kein sonderlich grüblerischer Mensch, und da er sich mit einer Dauererektion in ihrem Haus aufhielt - zumindest kam es ihm so vor -, waren seine Gedanken ohnedies eher begrenzt und ziemlich träge. Die unausgesprochenen Gesetze des Hauses erlaubten es ihm, sich tagsüber, während Florence Geige spielte, auf ich-rem Bett zu fläzen, jedenfalls solange die Tür offenstand. Eigentlich sollte er lesen, aber er mußte sie einfach ansehen und ihre nackten Arme bewundern, ihr Stirnband, den geraden Rücken, das so anmutig geneigte Kinn, unter das sie ihr Instrument klemmte, die Kontur ihrer Brüste im Gegenlicht, den Schwung, mit dem der Saum ihres Baumwollkleides im Takt des Geigenbogens über ihre sonnengebräunten Beine wippte, und wie die kleinen Muskeln unter der Haut ihrer Waden zuckten, wenn sie sich zur Musik wiegte. Hin und wieder seufzte sie wegen irgendeines vermeintlich unsauberen Tons, einer Phrasierung, und sie wiederholte die Passage, einmal und noch einmal. Die Art, wie sie die Notenblätter umschlug, zeigte gleichfalls ihre Stimmung an: ob sie sich mit einer heftigen Bewegung ihres Handgelenks ein neues Stück vornahm, beim Umblättern noch dem Gespielten nachhing oder voller Erwartungsfreude nach dem

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