Am Tor Zur Hoelle
und den Maschinenpistolen in den Händen, erblickte ich den Feind. Und ich vermute, dass sie ebenfalls den Feind erblickten, als sie mich ansahen. Ich spürte, wie ich starr, aggressiv, angespannt wurde; ich forderte sie heraus, stellte ihre Bürokratie in Frage, agierte mein Leiden aus. In dem Augenblick lebte ich in Unachtsamkeit, in Achtlosigkeit. Doch mein eigenes Tun wurde zu einer Glocke der Achtsamkeit für mich, die mich zu meinem Atem zurückführte. Ich verankerte mich mehr und mehr im gegenwärtigen Augenblick und war in der Lage, direkten Kontakt mit meinem Leiden aufzunehmen, damit es mich nicht beherrschte; ich agierte mein Leiden nicht durch Gewalt und Aggression aus. Als ich zu meinem Atem zurückkehrte und die vietnamesischen Soldaten auf dem Flughafen sah, sah ich mich selbst in ihnen. Ich sah mich wieder als Soldaten in Vietnam. Ich sah mich in ihnen, darauf getrimmt, nicht zu fühlen. Seit ich ordiniert wurde, besteht meine Aufgabe darin, mit denjenigen zu sprechen, die zornig sind, ihr Leiden und das Leiden, das sie in mir wecken, zu berühren. Meine Gelübde sind mir Ermächtigung und Ermutigung auf diesem Weg.
Ich besuchte einen Ort namens Nah Trang, eine Stadt am Meer, die kaum von schweren Kämpfen heimgesucht worden war. In Nah Trang war ein militärisches Hauptquartier gewesen, es war ein Ort, an dem kriegsrelevante Entscheidungen getroffen worden waren. Ich suchte diesen Ort auf, um zu sitzen und zu atmen, um eine Zeremonie abzuhalten zur Nährung der Hungrigen Geister, ob lebendig, tot oder dazwischen verweilend.
Eines Abends begab ich mich zu einer Gehmeditation an den Strand, ich atmete ein und atmete aus, und plötzlich war ich ungeheuer zornig. Nah Trang ist ein wunderschöner Ort mit eleganten Gebäuden im französischen Kolonialstil, Stränden mit feinem weiÃen Sand, Palmen; das Wasser ist warm und von einem intensiven Blau, und es gibt wunderbare Wellen zum Surfen. Ich dachte an die Soldaten, die während des Krieges hier gewesen waren, die nicht selbst im Gefecht gewesen waren, die nicht im Dschungel gewesen waren, nie jemanden hatten krepieren sehen, niemanden getötet hatten, stets genug zu essen gehabt hatten, und ich verspürte heftige Wut.
»Diese Menschen nennen sich Vietnam-Veteranen! Urlaub haben sie gemacht!« Die Emotion, die ich berührte, war unglaublich machtvoll, und es war auÃerordentlich wichtig für mich, zu diesen Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen, die ich seit Jahren unterdrückt hatte, Zugang zu finden. Wenn ich keinen Zugang zu solchen starken Emotionen finde, kann ich sie nicht ausdrücken. Wenn ich nicht willens bin, sie wahrzunehmen, sie zu berühren, mit ihnen zu Abend zu essen, werden diese Gefühle weiterhin mein Leben beherrschen. Was sich im Dschungel verbarg, war immer gefährlicher als das, was wir sehen konnten. Mit unseren Gefühlen verhält es sich ähnlich. Wenn wir unsere Gefühle erkennen und sie ins Bewusstsein holen, können sie unsere guten Absichten nicht unterlaufen, unseren Wunsch, mit liebender Güte zu handeln. Solange sie im Verborgenen lauern, ist unseren Absichten und Taten nicht zu trauen.
Neben dem Zorn empfand ich lange Zeit groÃe Schuldgefühle, weil ich überlebt hatte. Wieso hatte ich überlebt, wenn doch so viele andere nicht überlebt hatten? Durch die Ãbung der Achtsamkeit verwandelt sich die Schuld des Ãberlebenden allmählich in ein enormes Verantwortungsbewusstsein. In dem Wissen, dass ich überlebt habe, dass ich nicht tot bin, bin ich von denjenigen, die gestorben sind, ermächtigt worden. Ich habe eine enorme Verantwortung für jeden einzelnen Menschen, der je im Krieg gestorben ist, in jedem einzelnen Krieg zu jeder Zeit, an jedem Ort. Für jeden amerikanischen Soldaten, der gestorben ist, für jeden südvietnamesischen Soldaten, Zivilisten oder Vietkong-Soldaten, der gestorben ist â für jeden Menschen, der je in diesem oder einem anderen Krieg gestorben ist, empfinde ich eine innige Verantwortung, weil sie alle in mir sind. Eine innige Verantwortung, weil ich durch den Tod dieser Menschen, durch ihr Opfer die Bewusstheit erlangt habe, dass Krieg, dass Gewalt keine Lösung sind, dass Krieg und Gewalt niemals eine Lösung sind.
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Die Geschichte des Buddha zeigt uns, dass auch der Buddha auf Pilgerschaft gewesen ist. Er ist umhergewandert, ermunterte
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