Am Tor Zur Hoelle
wir sieben, die sich für diese Pilgerwanderung entschieden hatten, setzten ihren Weg fort; vier von uns vollendeten diese Reise â Tobias, Wiebke, Hamza und ich.
Wir wanderten mitten durch das Herz des Landes, durch das ländliche Amerika. Zwischen Hacketstown, New Jersey, und Peoria, Illinois, hatten die Orte, in denen wir Halt machten, zwischen achtzig und dreitausend Einwohnern. Und wenn wir eine Stadt mit dreitausend Einwohnern erreichten, erschien sie uns riesig. Wir wanderten fünfundzwanzig bis fünfzig Kilometer am Tag. Wir wanderten ohne Geld und ohne Begleitfahrzeug; wir trugen unser Gepäck auf dem Rücken. Wir wanderten ungeachtet von Regen, Schnee, Eiseskälte oder gröÃter Hitze â wir wanderten.
Zu Beginn der Pilgerreise â an der Ostküste, in New Jersey, Pennsylvania, Ohio â wurden wir des Ãfteren von der Polizei angehalten. Im Landesinneren geschah das seltener. Am häufigsten hielt uns die Polizei in Ohio an. Die Leute riefen bei der Polizei an und sagten: »Da drauÃen wandern Leute die StraÃe entlang.« Es klingt komisch, aber in den Vereinigten Staaten gehen die Leute gewöhnlich nicht zu FuÃ; normalerweise sind sie mit dem Auto oder dem Bus oder mit dem Flugzeug unterwegs. Sie machen sich nicht zu Fuà auf den Weg oder auf Pilgerreisen.
Wir gingen hunderteinundfünfzig Tage. Es gab von Anfang an keinen vorgefassten Plan, keine im vorhinein getroffenen Arrangements. Wir machten uns jeden Morgen aufs Neue auf den Weg, ohne zu wissen, was uns erwartete. Ich könnte unsere Wanderung eine »Querfeldein ziehen und um Almosen bitten«-Pilgerreise nennen. In der Soto-Zen-Tradition, in der ich ordiniert wurde, wird diese Ãbung
takuhatsu
genannt, was »um Almosen bitten« bedeutet. In dieser Tradition wandern wir ohne Geld und bitten um alles, was wir brauchen. In der traditionellen
takuhatsu
-Praxis sagt man nichts â man steht einfach nur mit einer Schüssel da und nimmt, was man bekommt. Ich habe diese Praxis für Amerika etwas abgewandelt â ich dachte, wenn wir nicht verbal ausdrücken, was wir brauchen, stehen wir womöglich tagelang vor einer Kirche und die Leute verstehen immer noch nicht, warum wir da sind. Wenn wir nicht gesprochen hätten, hätten wir auÃerdem wohl noch häufiger mit der Polizei zu tun bekommen.
In den Vereinigten Staaten tut man so etwas nicht. In diesem Land unternehmen die Leute nur selten Pilgerreisen. Ich kenne einige wenige Menschen, die verschiedene Arten von Pilgerreisen quer durch das ganze Land gemacht haben â gehend oder laufend oder mit dem Fahrrad. Eine Frau mit Namen Peace Pilgrim ist jahrelang kreuz und quer durch das Land gezogen. Sie trug ein Gewand mit einem groÃen Friedenszeichen darauf, und alles, was sie besaÃ, befand sich in den Taschen dieses Gewandes. Sie wurde von der Freigebigkeit der Menschen unterstützt, denen sie unterwegs begegnete. Das war ihr Leben. Doch spirituelle Pilgerreisen sind sehr selten.
Auf Pilgerschaft gehen ist als spirituelle Ãbung in Asien und in Europa weiter verbreitet. Es ist eine sehr, sehr machtvolle Praxis, und das, was man auf einer Pilgerreise erfährt und erlebt, ist schwer zu vermitteln. Vor der Natur des eigenen Leidens gibt es bei dieser Ãbung kein Entrinnen. Wenn du gehst, wirst du fortwährend mit der Natur deines Selbst, deinen Anhaftungen, deinem Widerstand konfrontiert. Du wirst mit dem konfrontiert, an dem du um der Illusion von Sicherheit willen haftest. Wenn du dabei weiterhin an diesen Dingen festhältst, wirst du einen ziemlich hohen Preis dafür zahlen. Du wirst nicht nur körperlich Schaden nehmen, sondern in einem fortwährenden Zustand des Unglücklichseins verharren, weil du beständig gegen die Praxis ankämpfst und versuchst, sie irgendwie zu steuern. Sinn und Zweck dieser Praxis ist es, loszulassen â alle Erwartungen fallen zu lassen, alle Anhaftungen loszulassen und sich einzig mit dem zu befassen, was in dem Augenblick gegenwärtig ist. Auf diese Weise zu leben heiÃt, die Wirklichkeit des Lebens zu leben, das Unbekannte zu leben, das Unbekannte zu durchdringen, dem Unbekannten zu erlauben, dein Lehrer zu werden. Es bedeutet, sich ohne Erwartungen auf das Unbekannte einzulassen und sich dann auf das einzulassen, was da ist. Auf unsere Situation übertragen heiÃt das: Wenn du keinen Ort zum Ãbernachten hast, wenn du nichts zu essen bekommst,
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