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Am Tor Zur Hoelle

Am Tor Zur Hoelle

Titel: Am Tor Zur Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anshin Thomas
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die Tür klopfte und ihre Bitte vorbrachte, antwortete der Pastor ihr: »Ihr seid Buddhisten. Wir können euch nicht helfen.« Wir waren müde und erhitzt von der Wanderschaft, also suchten wir den Park im Ortszentrum auf, um ein wenig zu rasten. Während wir uns dort ausruhten, fuhr ein Wagen vor: der Pastor und seine Frau. Er stieg aus und trug ein paar Papiertüten im Arm. Er wollte uns nicht in seine Kirche einlassen, aber er brachte uns etwas zu essen. In dem Augenblick war er in der Lage, seine Furcht zu überwinden, seine Zweifel, seine Unsicherheit, sein eigenes Leiden, um auf die Weise zu helfen, die ihm möglich war.
    Im Verlauf unseres Gespräches beschuldigte er mich, der Antichrist zu sein. Er meinte es ernst. Ich sah ihn an und erwiderte: »Wissen Sie, ich glaube das nicht.« Er entgegnete: »Glauben Sie an Jesus Christus?« Ich sagte: »Absolut.« Ich sagte das, ohne mit der Wimper zu zucken, denn es entspricht der Wahrheit. Ich bewundere und respektiere die Lehren Jesu. Die nächste Frage des Pastors lautete: »Nehmen Sie Jesus als Ihren persönlichen Herrn und Erlöser an?« Und ich sagte: »Nein, das tue ich nicht.« Er sagte: »Sehen Sie, Sie sind der Antichrist. Wenn Sie nicht an Christus glauben, dann sind Sie der Antichrist.« An dem Punkt des Gesprächs fragte ich ihn: »Wie alt sind Sie?« Er nannte mir sein Alter, und dann fragte ich ihn: »Haben Sie in der Armee gedient?« Er erwiderte: »Ja, das habe ich.« Ich sagte: »Haben Sie im Korea-Krieg gekämpft?« Und er erwiderte: »Ja, das habe ich, ich war bei der Navy.« Ich sagte: »Wissen Sie, ich habe auch im Militär gedient. Ich war in Vietnam.« Er sagte: »Ist Amerika nicht ein wunderbares Land, zu dessen Schutz wir dienen können? Ich habe gedient, damit Sie tun können, was Sie tun.« Und ich erwiderte: »Haben Sie vielen Dank. Und ich habe gedient, damit Sie tun können, was Sie tun.« Und ich verneigte mich vor ihm.
    Wir hatten einen Ort gefunden, an dem wir Berührung aufnehmen konnten, an dem wir uns auf gemeinsamem Boden begegneten. Und genau darauf konzentriere ich mich: nicht auf das, was uns verschieden macht, sondern auf das, wo wir Berührung haben. Es ist einfach, mich abzutrennen, mich als von dem anderen verschieden zu betrachten, und das ist die Wurzel des Leidens. Kann ich die Menschen auf der Straße ansehen und wirklich begreifen, dass ich nicht verschieden von ihnen bin? Weiß ich, dass sie Teil von mir sind, mir so nahe sind wie mein Partner, meine Partnerin, meine Eltern, mein Kind? Eine der verbreitetsten buddhistischen Meditationsübungen zur Entwicklung von Mitgefühl ist es, sich andere – Fremde oder sogar Menschen, die man verabscheut – als die eigene Mutter vorzustellen, die uns das Leben geschenkt und uns genährt hat. Wenn es einem mit der eigenen Mutter zu schwierig erscheint, kann man sich auch vorstellen, im anderen Menschen das eigene Kind zu sehen. Oder man kann sich vom Meditationskissen erheben und sich Menschen auf der Straße anschauen, die man für Fremde hält, für anders, für einschüchternd, und die Punkte suchen, an denen man Berührung findet: die Punkte, an denen man die menschliche Erfahrung von Freud und Leid miteinander teilt.
    Während die Unterweisungen des Buddha uns zum einen helfen, andere als Verwandte, als uns Nahestehende zu betrachten, helfen sie uns zum anderen auch, es zu vermeiden, uns Nahestehende als selbstverständlich zu nehmen. Kann ich jeden Morgen aufstehen und den Menschen, der mit mir zusammenlebt, meine Partnerin, meinen Partner ansehen und sie oder ihn betrachten, als sähe ich sie, ihn zum ersten Mal?
    Als jener Pastor mich als Antichrist bezeichnete, stieg als eine der ersten Empfindungen Ärger in mir auf – das will ich nicht leugnen. Und dann war ich verletzt. Ich schwankte zwischen zwei Wünschen: Einerseits wollte ich ihn auf irgendeine Weise bestrafen, andererseits wollte ich ihn von der Unrichtigkeit seiner Ansicht überzeugen, ich wollte mit ihm diskutieren. Keine dieser Reaktionen wäre jedoch sehr produktiv gewesen. Ich muss immer nach dem Ort Ausschau halten, an dem wir uns berühren. Dem Ort unserer wechselseitigen Verbundenheit. Dem Ort, an dem wir uns nicht voneinander unterscheiden. Denn wenn ich den anderen als von mir getrennt wahrnehme, verstricke ich mich in den Kreislauf des Leidens und

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