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Am Tor Zur Hoelle

Am Tor Zur Hoelle

Titel: Am Tor Zur Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anshin Thomas
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beginne die Natur meines Leidens auszuagieren. Das Ergebnis ist eine Spirale aus Wut, Hass, Gewalt, Krieg. Jeden Tag unseres Lebens machen wir uns entweder Freundinnen und Freunde oder Feindinnen und Feinde.
    Bezeichnet mich jemand als Antichrist, so steigen wahrscheinlich meist Gefühle von Ärger in mir auf. Doch wenn ich von diesem Ort des Leidens aus agiere, wer bin ich dann? Wenn ich mich auf Kosten des anderen über ihn erhebe, habe ich mich ihm vielleicht als theologisch überlegen erwiesen, doch ich habe die schlichte Wahrheit aus den Augen verloren, dass ich mich nicht von ihm unterscheide. Ich habe genau das getan, was er getan hat. Also nutze ich meine Bewusstheit, um mich nicht von ihm abzutrennen, sondern um Zeugnis abzulegen von dem, was in mir aufsteigt, wenn ich mit derartiger Aggressivität, derartiger Angst, derartiger Engstirnigkeit konfrontiert werde. Und dann atme ich und suche nach dem Ort, an dem wir uns berühren.
    Die Engstirnigkeit und die Aggressivität, denen wir auf unserem Pilgermarsch durch die Vereinigten Staaten begegneten, waren geschlechterunabhängig. Beides wurde uns gleichermaßen von Männern wie Frauen entgegengebracht, von Kindern, von älteren Menschen, von jüngeren Menschen. Wir erlebten beides querbeet. Und die Großzügigkeit, der wir begegneten, war ebenfalls von Alter und Geschlecht unabhängig. Wir machten beide Erfahrungen. In zwei Staaten, die wir durchwanderten, gab es eine hohe Anzahl an Ku-Klux-Klan-Mitgliedern. Wir waren eine sehr gemischte Gruppe – Männer und Frauen, Menschen verschiedener ethnischer Herkunft, ein kahlköpfiger Typ in langem Gewand –, aber wir wurden nicht ein einziges Mal ernsthaft belästigt. Nicht ein einziges Mal. Und wir praktizierten auch draußen im Freien, wir gingen unserer Praxis überall nach, wir taten es nicht im Verborgenen. Es war uns wichtig, die Glocke der Achtsamkeit erklingen zu lassen, sie wirklich singen zu lassen.
    Sangha umfasst das gesamte Spektrum
des Universums
    Eine weitere Grundlage der Lehre des Buddha ist der Begriff der Sangha, der Gemeinschaft. Sangha umfasst das gesamte Spektrum des Universums, denn das gesamte Universum existiert hier, jetzt; alle Dinge sind hier. Sangha meint darüber hinaus meine unmittelbare Gemeinschaft, die Menschen, mit denen ich übe. Ohne die Gemeinschaft der Menschen, mit denen ich auf Wanderschaft war, ohne ihre Anwesenheit, wäre mir die Wanderung gewiss sehr viel schwerer gefallen. Es gab Tage, an denen ich vielleicht nicht gegangen wäre, wäre ich nicht dafür verantwortlich gewesen, dass sich die Gruppe bereit machte und den Weg fortsetzte. Ihre Gegenwart hat mich also bestärkt; sie hat mir geholfen, mich auf das zu konzentrieren, was mir bei dieser Übung wichtig ist.
    Jeder und jede kann mich auf einer Pilgerreise begleiten. Diese Praxis steht allen offen. Die Menschen erfahren davon durch meine Vorträge und die Retreats, die ich durchführe. Als ich den Entschluss fasste, quer durch die Vereinigten Staaten zu pilgern, habe ich einfach verkündet, was ich tun würde. Dann habe ich eine allgemeine Einladung ausgesprochen, die sich an alle wandte, die Interesse zeigten, mitzugehen. Sie mussten einzig vier Bedingungen akzeptieren: kein Geld bei sich zu haben, alle Ausrüstung selbst zu tragen und bereit zu sein, zwanzig bis fünfzig Kilometer am Tag zu Fuß zurückzulegen und die Richtlinien zu praktizieren, was unter anderem bedeutet: keinen Alkohol, keine Tabakprodukte oder andere Drogen zu konsumieren und keinen Fisch, kein Fleisch und kein Geflügel zu essen.
    Wenn Hamza, Tobias oder Wiebke bei unserem Aufbruch in Yonkers gefragt worden wären, ob wir es je bis nach Kalifornien schaffen würden, hätten sie vermutlich geantwortet: »Ich weiß nicht, aber ich glaube nicht.« Denn wenn man sich in Gedanken die ganze Strecke von knapp fünftausend Kilometern ausmalt, dann sagt eine innere Stimme sehr wahrscheinlich: »Eine solche Strecke kannst du nicht zu Fuß zurücklegen!« Doch wenn wir dann einen Schritt nach dem anderen tun, ist der Weg viel eher zu bewältigen. Es ist wie bei der Sitzmeditation: Wenn ich mich an bestimmte Vorstellungen von Haltung, Zeit und so weiter klammere, dann entgeht mir wahrscheinlich das Wesentliche, und das ist Sitzen. Um zu sitzen, brauche ich nur zu sitzen. Ich kann gehen, nur um zu gehen. Ich kann essen, nur um zu essen. Ich kann atmen,

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