Am Tor Zur Hoelle
des Traumas. Ich sonderte mich mehr und mehr von anderen Menschen ab, nahm mehr und mehr Drogen und lebte mehr und mehr am Rande der Gesellschaft.
Ich suchte immer auÃerhalb meiner selbst nach Rettung, nach irgendeiner Antwort. Wenn ich nur die richtige Zusammensetzung von Drogen herausbekam, würden die Gefühle weggehen. Wenn ich nur den richtigen Job fand, wäre alles in Ordnung. Ich musste von anderen angenommen, für wert befunden werden.
Als ich aus dem Krieg heimkehrte, ging ich zunächst auf das Slippery Rock State College in Pennsylvania. Zu jener Zeit entdeckte ich die Frauen und hatte viele Beziehungen, von denen keine andauerte. Ich weià nicht mehr, ob ich überhaupt den Wunsch nach einer längerfristigen Beziehung hatte, doch bei jeder neuen Begegnung dachte ich: Das ist nun die Eine. Doch bei dem, was ich zunächst für eine machtvolle Verbindung hielt, war letztlich nur die physische Vereinigung entscheidend. Kaum hatten wir Sex, kehrte die Fühllosigkeit zurück, und ich verlieà die Frau und suchte die nächste »Liebe«. Einige Zeit war ich mit einer katholischen jungen Frau zusammen. Eines Tages erzählte sie mir, dass sie schwanger sei. Ich wollte nicht wirklich heiraten, doch ich wollte das Kind. Ich glaubte, dieses Kind könne irgendwie meine Rettung, meine Erlösung sein. Hätte ich erst ein Kind, so würde das meinem Leben einen Sinn geben, einem Leben, das ansonsten bar jeden Sinnes, bar jeder Gefühle, bar jeder Vertrautheit und Nähe war. Wir heirateten und hatten einen Sohn. Doch so sehr ich auch geglaubt hatte, dass ich wollte, was ich nun hatte, dass dies meine Rettung sei, so sehr täuschte ich mich. Drei Jahre später verlieà ich meinen Sohn und seine Mutter.
Als mein Sohn noch klein war, schlief er in seiner Korbwiege bei seiner Mutter und mir im Zimmer. Es regte mich immer furchtbar auf, wenn mein Sohn weinte; ich musste dann das Haus verlassen oder zu Drogen greifen; ich musste irgendetwas tun, um dem wilden Aufruhr, in den ich geriet, zu entkommen. Ich musste weg davon. Ich verstand nicht, warum das so war â es war mir nicht klar. Ich dachte, ich sei verrückt, irrsinnig, mit mir stimme etwas nicht. Wann immer mein Sohn in seinem Bettchen lag und weinte, verspürte ich einen ungeheuren Drang, wegzulaufen, aus dem Haus zu rennen. Oder ich flüchtete eben auf andere Weise aus der Situation: Ich trank, ich nahm Drogen. Egal was, Hauptsache, ich konnte der Wirklichkeit einer Erfahrung entrinnen, die jenseits meines Begriffsvermögens lag. Heute begreife ich es: Weinen, bei mir oder anderen, versetzte mich in schreckliche Angst, war mir unerträglich. Unglücklichsein war verboten.
Nach meiner Rückkehr aus dem Krieg wurde ich gebeten, mich der Friedensbewegung anzuschlieÃen, und das tat ich. Doch ich machte klar, dass ich kein Pazifist war. Ich schloss mich der Friedensbewegung an, weil ich wollte, dass der Krieg beendet wurde, denn er wurde nicht ordentlich geführt. Wenn wir in Vietnam waren, dann sollten wir kämpfen, um zu gewinnen. Wenn wir nicht kämpften, um zu gewinnen, dann sollten wir nicht dort sein. Das war 1968/69 meine Einstellung.
In meinen Augen war die damalige Friedensbewegung auÃerdem eine Kriegsbewegung â sie war gewalttätig und hässlich. Wir Vietnam-Veteranen stellten eine geschätzte Bereicherung für die Bewegung dar und waren zugleich doch verzichtbar. Wenn wir ihren Zwecken dienen konnten, wollten sie uns dabei haben, doch wenn es um unsere Heilung ging, boten sie uns keinerlei Unterstützung an.
1969 oder 1970 traf ich mich mit anderen Vietnam-Veteranen in Washington, D. C., wo wir uns mit Handschellen an den Zaun rings um das WeiÃe Haus anketteten. Die Auszeichnungen, die wir für unseren Vietnameinsatz bekommen hatten, warfen wir über den Zaun. Die Polizei erschien und verprügelte uns. Das ist der Irrsinn des Krieges, der Gewalt. Das waren die Menschen, für die ich gekämpft hatte. Das waren die Menschen, für die ich mein Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um deren Demokratie zu verteidigen.
Ich glaube, am Slippery Rock State College in Pennsylvania war ich zu jener Zeit der einzige Kriegsveteran dort. Es war kurz nach dem Massaker von My Lai. Ich hatte einen Kurs in Politikwissenschaft belegt. Es entspann sich eine Diskussion über das Massaker und die entsetzlichen Gräuel, die amerikanische Soldaten begangen hatten. Der
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