Am Tor Zur Hoelle
gestorben sind. Bis heute ist die Anzahl der Amerikaner, die in Vietnam ums Leben kamen, auf 58 206 gestiegen. Ich bin 1968 aus Vietnam heimgekehrt. Ich habe bis 1985 gebraucht, um hinzugehen und mir diese Namen anzusehen. Das amerikanische Engagement in Vietnam endete offiziell im Jahre 1975. Von 1975 bis heute haben sich einer Schätzung zufolge über 100 000 amerikanische Männer und Frauen, die in Vietnam eingesetzt waren, das Leben genommen. Zwischen vierzig und sechzig Prozent aller Obdachlosen in den Vereinigten Staaten sind Vietnam-Veteranen. Vietnam-Veteranen haben eine Scheidungsrate, die beträchtlich höher ist als der landesweite Durchschnitt. Wie ich haben viele Veteraninnen und Veteranen die Fähigkeit zur Nähe verloren. Der Krieg ist nicht zu Ende. Er endet niemals. Meine Beteiligung an jenem Krieg hat mich in vielerlei Hinsicht gezeichnet. Sie hat meinen Körper gezeichnet, sie hat mein Herz gezeichnet, sie hat meine Seele gezeichnet. Die Wirklichkeit jenes Krieges begleitet mich tagtäglich. Sie geht nicht vorüber. Es hat keinen Sinn zu versuchen, das zu verbergen, denn der Krieg geht nicht vorüber.
Vietnam war der erste Krieg, nach dessen Ende die Gesellschaft den Schmerz und das Leid der Soldaten nicht unter den Teppich des Heldentums und der Lobhudelei kehren konnte. Die Niederlage und die Beschämung jenes Krieges haben uns ermöglicht, die Niederlage und die Beschämung eines jeden Krieges und jeglicher Gewalttätigkeit wahrhaftiger zu erkennen, aber Vietnam-Veteranen haben einen hohen Preis für diese Wahrheit bezahlt.
Die Umarmung von Familie und Freunden und die Feierlichkeit der Konfettiparaden können auf den ersten Blick viel Elend und Grausamkeit aufwiegen. Doch nachdem ich mehr und mehr mit Menschen aus der Generation meines Vaters zu tun hatte, habe ich entdeckt, wie viele Veteranen des Zweiten Weltkriegs ihr gesamtes Leben von ihrer Familie getrennt in einem Zustand stiller Verzweiflung verbringen. Sie verbringen Stunden um Stunden allein in der Garage oder im Souterrain. Viele von ihnen, wie mein Vater und die Männer aus meiner Kindheit und Jugend, versuchen die Schuld, die Scham, die Verstörung, die Angst, den Zorn, die Gefühle oder den Mangel an Gefühlen, die die Wirklichkeit des Krieges ausmachen, in Alkohol zu ertränken.
Das Militär lehrt uns, das Menschsein zu leugnen. Vieles in unserer Gesellschaft lehrt uns, das Menschsein zu leugnen. Und sobald wir das Menschsein leugnen, sobald uns dies zur Gewohnheit wird, lässt es sich nur schwer wieder ändern. Wenn wir unser Menschsein leugnen, verlieren wir unsere Menschlichkeit. Das geschieht nicht nur beim Militär. Es geschieht durch das Fernsehen, durchs Kino, durch Zeitschriften; es geschieht auf der StraÃe; es geschieht in Geschäften und am Arbeitsplatz. Auch Menschen, die nicht beim Militär gewesen sind, können ähnliche Muster entwickeln. Man denke an Menschen, die Schulkinder auf dem Pausenhof erschieÃen oder andere auf der StraÃe zu Tode prügeln, weil sie zum Beispiel schwul sind. Schon das Anschreien eines anderen in einer Warteschlange zählt dazu â wir tun es aus Ungeduld, die aus unseren Gefühlen des Unbehagens resultiert. In vielen Situationen erleben wir, wie unser Menschsein geleugnet wird und wir das der anderen leugnen.
Der Krieg in Vietnam, der erste, zweite und dritte Golfkrieg, der Krieg im Kosovo, der Krieg in den StraÃen von Los Angeles, der Krieg in den StraÃen von Hartford oder Denver oder Cleveland oder jeder sonstigen Stadt, der Krieg, der in jedem einzelnen Zuhause stattfindet ⦠Was bildet die Saat dieser Kriege?
Vietnam ist nur eine Erscheinungsform der Saat des Krieges, die in jedem Einzelnen von uns ihren Anfang nimmt. Wir alle besitzen sie. Und nicht nur die Männer. Männer wie Frauen. Wir alle tragen die Saat der Gewalt, die Saat des Krieges in uns.
1983 suchte ich eine Rehabilitationsklinik für Drogenabhängige auf, und es gelang mir, meinen Drogen- und Alkoholmissbrauch zu beenden. Ich hatte während all der Jahre immer die Vorstellung gehabt, dass Leben noch etwas anderes sein könnte als das Leben, das ich führte, aber ich wusste nicht, wie ich dahin kommen könnte. Als ich wieder einmal sehr verzweifelt war, sagte man mir, dass mein Hauptproblem Alkohol und Drogen seien und ich damit aufhören müsse, um überhaupt die Chance zu haben, ein anderes Leben zu
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