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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Jeier
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kam ich in den Stall. Leider hatte ein Fuchs dieselbe Idee und es gab mächtigen Wirbel, sonst hätten sie mich gar nicht bemerkt. Wenn die blöde Mauer an der Straße nicht gewesen wäre ...«
    Sie schüttelte spöttisch den Kopf. »Dass sich Männer immer so anstellen müssen, wenn sie ein kleines Wehwehchen haben. Worauf warten wir noch?«
    »Du hast gut reden. Ich bin schwer verletzt.«
    »Schon gut. Komm jetzt!«
    Bryan griff nach seinem Krückstock und erhob sich ächzend. Er deutete auf den Sack mit den Vorräten. »Nimm den Proviant und lauf schon vor. Du bist schneller als ich. Aber löffle mir nicht den ganzen Honig weg, hörst du?«
    »Honig hast du auch?« Sie griff strahlend nach dem Sack.
    »Und den kostbaren Tee. Eine große Dose.«
    »Ich hab nichts anderes erwartet, Blue Eyes.«
    »Halt keine langen Reden und geh endlich, Little Red«, erwiderte er.

6
    Ohne die Vorräte und die warmen Decken, die Bryan gebracht hatte, wäre Rose Campbell wahrscheinlich gestorben. Die fette Hühnerbrühe wirkte wahre Wunder, vertrieb den quälenden Husten und das Fieber und ließ sie schon nach wenigen Tagen wieder einigermaßen erholt und gesund aussehen. Der kostbare Tee zauberte, mit Honig gesüßt, sogar ein Lächeln auf ihr Gesicht.
    Ihre Genesung beflügelte auch Molly und Fanny. Zum ersten Mal seit ihrer Vertreibung hatten sie das Gefühl, dass sie die Hungersnot wirklich überstehen könnten, nicht nur sie beide, sondern auch ihre Mutter, die bereits mit einem Bein im Grab gestanden hatte. Mit den Vorräten, die Bryan gestohlen hatte, und den Fischen und kleinen Tieren, die sie während der nächsten Wochen fingen und über dem Feuer brieten, brauchten sie keinen Hunger zu leiden, und der edle Tee würde, wenn man ihn sparsam verwendete, bis ins neue Jahr reichen. Die Kleidung, die Bryan außerdem mitgebracht hatte, drei abgetragene Kleider und drei Paar Schuhe, die ihnen einigermaßen passten, schützten sie gegen den kühlen Wind. Molly vermutete, dass er sie von drei toten Frauen hatte. Inzwischen lagen sicher noch mehr Verhungerte am Straßenrand. Auch die Leichen, die sie gesehen hatten, waren beinahe nackt gewesen. Aber sie hütete sich, ihn dafür zu kritisieren. Die Kleidung nützte den Toten nicht mehr.
    Molly betete jeden Morgen und Abend und dankte dem Herrgott für die Gnade, sie auf den richtigen Weg geführt und Bryan getroffen zu haben. Ohne ihn wäre ihnen nichts anderes übrig geblieben, als ins Arbeitshaus zu gehen, und ihre Mutter hätten sie längst begraben müssen. In ihren Träumen kam er ihr beinahe wie ein Engel vor, der vom Himmel herabgestiegen war, um ihnen zu helfen. Ein Engel, der es mit dem Gesetz nicht so genau nahm und sogar Freude daran zu haben schien, es den Engländern zumindest ein bisschen heimzahlen zu können. Dass er dabei Gefahr lief, von ihnen gefasst und eingesperrt oder verbannt zu werden, schien ihm nichts auszumachen.
    Wie sehr sie sich Bryan auch mit ihrem Herzen zugewandt hatte, spürte Molly vor allem, wenn er nicht in ihrer Nähe war. Wenn er in seine Hütte zurückkehrte oder auf die Jagd ging, vermisste sie ihn mehr, als sie zugeben wollte. Bryan Halloran war zu einem unverzichtbaren Teil von ihr geworden. Ob es Liebe war, vermochte sie nicht zu sagen. Aber wenn sie sich abends in ihre Decke rollte und die Wärme des Feuers auf ihrem Körper spürte, stellte sie sich vor, wie er leicht bekleidet zu ihr unter die Decke kroch, sie fest an sich drückte und so leidenschaftlich küsste, dass sie keine Luft mehr bekam. Ein sündiger Gedanke, wie sie glaubte, der ihr jedes Mal die Röte ins Gesicht trieb. Bei keiner Frau, die sie kannte, hatte sie jemals das Gefühl gehabt, dass sie sich auf diese Weise nach einem Mann sehnte. »Die Liebe muss wachsen«, hieß es, wenn vom Heiraten die Rede war. Die Eltern suchten einen Mann für ihre Tochter aus, der von ihrem Stand war und sie versorgen konnte, und vertrauten darauf, dass sich die gegenseitige Zuneigung mit den Jahren von selbst einstellte, wenn sie Glück hatten.
    Dass es zwischen Bryan und ihr noch nicht zu Zärtlichkeiten gekommen war, lag wohl daran, dass sie bisher andere Sorgen gehabt hatten. Und an ihrer schnippischen und vorlauten Art, die aber im Grunde nur vorgetäuscht war, um sich vor tieferen Gefühlen zu schützen. So etwas wie Liebe und liebevolle Zuwendung hatte Molly bisher nie erfahren, weder von ihren Eltern noch von anderen Menschen. Ihre Mutter liebte sie natürlich, war aber eher eine

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