Am Ufer der Traeume
beginnen zu dürfen.
Doch der Herrgott schien andere Pläne zu haben, denn nur wenige Tage, nachdem Bryan von seinen Plänen berichtet hatte, schickte er einen heftigen Dauerregen in ihre Gegend. Das Unwetter machte den schmalen Pfad, der in Bryans Tal führte, zu schlüpfrig für einen Abstieg und zwang sie zu einem weiten Umweg, der fast zwei Stunden dauerte. Nach Mollys erstem Besuch, als sie mit triefenden Haaren und nassen Kleidern in seinem Camp erschien, versprach Bryan, sie alle drei Tage in der Höhle zu besuchen und ihnen Vorräte zu bringen, doch leider behinderte das schlechte Wetter die Jagd und selbst die Forellen hielten sich aus dem Tümpel fern. Oftmals erschien er nur mit einigen Zwiebeln, Kräutern oder Wurzeln. Ihr Hunger meldete sich zurück und erinnerte sie auf sehr schmerzvolle Weise daran, dass die schlechten Zeiten noch lange nicht vorbei waren, vielleicht sogar erst begonnen hatten.
Viel schlimmer aber war, dass Rose Campbell wieder zu husten begann und mit jedem Tag, an dem sie nur wenig oder gar nichts zu essen bekam, schwächer und kränker wurde. Trotz des dichten Buschwerks, das vor der Höhle wuchs, trieben eisiger Wind und kühler Sprühregen nach drinnen, und obwohl sie dicht beim Feuer lag, zitterte sie vor Kälte und Unbehagen. Molly und Fanny taten alles, um ihr zu helfen, opferten ihre eigenen Decken, um sie möglichst warm zu halten, und Bryan brachte ebenfalls einige Decken, die allerdings klitschnass waren, als er die Höhle betrat, und erst mal trocknen mussten. »Macht euch keine Umstände«, sagte Rose Campbell immer wieder, »ich komme schon zurecht. In ein paar Tagen bin ich sicher wieder auf den Beinen, ganz bestimmt.« Aber ihre glanzlosen Augen sagten etwas anderes.
Nach einigen Tagen ließ der Regen nach und Bryan erschien freudestrahlend mit zwei gefangenen Forellen in der Höhle. Doch Rose Campbell hatte den Appetit verloren, nieste und hustete schwer und war so schwach, dass sich Molly und Fanny bereits ernsthafte Sorgen machten. In diesen schweren Zeiten waren schon Menschen an leichteren Krankheiten gestorben. Die mangelhafte Ernährung schwächte die Abwehrkräfte und ließ anfällige Menschen wie ihre Mutter schneller krank werden. Sie brauchte dringend etwas Nahrhaftes zu essen, am besten Hühnerbrühe, wenn sie überleben wollte.
»Es regnet noch zu stark, um auf die Jagd zu gehen«, sagte Bryan, als er mit Molly im Höhleneingang stand. »Die Tiere haben sich alle verkrochen. Vor allem die Eichhörnchen, die scheinen überhaupt keinen Regen zu mögen.« Er blickte in den Regen hinaus. »Ich hole etwas zu essen aus der Stadt. Am besten ein Huhn. Nur Hühnerbrühe hilft, wenn es einem so schlecht geht, das weiß ich von meiner Mutter. Gegen das Schwarze Fieber wäre zwar selbst die machtlos gewesen, aber deine Mutter ist nur erkältet. Schwarzes Fieber sieht anders aus, auch Cholera würde ich erkennen. Ich besorge ein Huhn.« Er zog seine Mütze tiefer in die Stirn. »In zwei, drei Tagen müsste ich es schaffen.«
»Und wenn wir doch ...« Sie wagte kaum, den Satz auszusprechen. »Und wenn wir doch ins Arbeitshaus gehen? Die haben bestimmt Medizin für sie.«
»Im Arbeitshaus? Niemals!« Bryan schüttelte den Kopf. »In dem Zustand würde sie nicht einmal durch die Tür kommen. Oder hast du die vielen Kranken und Verletzten vor dem Arbeitshaus nicht gesehen? Sie lassen nur Gesunde rein. Kranke müssen draußen bleiben. Deine Mutter muss gesund werden.« Er legte beide Hände auf ihre Schultern. »Ich beeile mich, Little Red.«
»
Farewell
, Blue Eyes«, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln.
Der Tee, den Bryan ihnen dagelassen hatte, reichte gerade noch, um zwei Essgefäße zu füllen. Danach waren sie auf die Kräuter angewiesen, die Molly vor dem Unwetter gesammelt hatte. Der Kräutertee schmeckte bitter und hinterließ nicht die wohlige Wärme, die ihre Mutter nach dem Genuss des edlen Tees empfunden hatte. Er linderte weder ihre Erkältung, noch gab er ihr die Kraft, die sie dringend brauchte, um wieder gesund zu werden. Aber Bryans Vorräte waren zur Neige gegangen, auch der Zucker, sodass ihr nur die dünne Brühe blieb, die sie schon auf der Farm getrunken hatte. Ihr Essen, das aus einer ebenso dünnen Suppe aus Zwiebeln und Wurzeln bestand, rührte sie nicht an.
Als es Molly am zweiten Tag, nachdem Bryan aufgebrochen war, endlich gelang, ein Eichhörnchen zu erlegen, brachte Rose zwei, drei Bissen von dem gebratenen Fleisch herunter,
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