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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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bohren schienen. An der Kirche von St. Franziskus mit ihrem hohen Portal und ihrer schimmernden, weithin sichtbaren Kuppel vorbei, erreichte der Vierspänner das Klementinum.
    »Überaus beeindruckend«, war Sarahs Kommentar, als sie die barock gestaltete, mehrstöckige Fassade passierten, die sich um mehrere Innenhöfe schloss und deren Vorderseite von der Kirche St. Salvator beherrscht wurde.
    »Das Klementinum wurde Mitte des 16. Jahrhunderts von Jesuiten gegründet«, erklärte die Gräfin. »Kaiser Ferdinand rief sie zu Hilfe im Kampf gegen ketzerische Umtriebe – und die Jesuiten ließen nichts unversucht, um entlaufene Schafe zur Herde zurückzutreiben, das können Sie mir glauben. Von einer kurzen Unterbrechung abgesehen, währte ihre Macht in Prag etwas über zweihundert Jahre.«
    »Fast glaube ich, aus Ihren Worten ein wenig Bewunderung herauszuhören, Gräfin«, stellte Hingis fest.
    »Warum auch nicht? Zwei Jahrhunderte sind eine lange Zeit.«
    »Zugegeben«, räumte der Schweizer ein. »Aber es ist doch erwiesen, dass sich die jesuitische Macht in Prag äußerst repressiver Mittel bediente. Nicht von ungefähr war die Stadt Ausgangspunkt des Dreißigjährigen Krieges.«
    »Vielleicht, Doktor. Aber das verringert nicht das historische Verdienst, nicht wahr?« Der Satz war mit derartiger Endgültigkeit formuliert, dass es einem Affront gleichgekommen wäre, abermals zu widersprechen. Um seiner guten Erziehung willen und weil sie in der Schuld ihrer Gastgeberin standen, verzichtete Friedrich Hingis auf eine weitere Erwiderung, aber es war ihm anzusehen, wie wenig sich das Freiheitsverständnis des Eidgenossen mit den gräflichen Ansichten vertrug.
    Wenn Ludmilla von Czerny es bemerkte, so ließ sie sich ihre Begeisterung davon nicht nehmen. »Von der Prager Burg einmal abgesehen«, dozierte sie weiter, »ist das Klementinum das größte Gebäude der Stadt. Neben Hörsälen und Bibliotheken verfügt es sogar über eine eigene Sternwarte. Seit mehr als hundert Jahren beherbergt es die Universitätsbibliothek und damit eine der ältesten Büchereien Europas.«
    »Dann sind wir ja am rechten Ort«, sagte Sarah, als die Kutsche das Haupttor passierte und in den Vorhof einfuhr. »Wollen wir hoffen, dass wir finden, wonach wir suchen.«
    »Glauben Sie, dass dieser Einäugige die Wahrheit gesagt hat? Dass es dieses ›Wasser des Lebens‹ tatsächlich gibt?«
    »Was ich glaube, spielt keine Rolle. Allein die Übereinstimmung zwischen den Worten des Zyklopen und dem, was Rabbi Oppenheim mir mitteilte, lässt mich hoffen, dass es noch mehr darüber herauszufinden gibt.«
    »Und wenn es genau das ist, was die Gegenseite von Ihnen erwartet?«, erkundigte sich die Gräfin und sprach damit Sarahs größte Besorgnis aus.
    »Dann werde ich vorerst genau das tun«, erwiderte sie dennoch mit fester Stimme. »Mein Vater lehrte mich, dass Mythen und Mysterien dazu da sind, entschlüsselt zu werden, und genau das werde ich tun.«
    »So wie Sie es beim Golem getan haben?«
    »In der Tat.«
    Die Kutsche kam zum Stillstand, und zwei livrierte Diener eilten herbei, um die Stiegen herunterzuklappen und den Damen beim Ausstieg behilflich zu sein.
    »Warum teilen Sie dem Rabbiner und seinem jungen Freund dann nicht mit, was Sie herausgefunden haben? Warum lassen Sie sie weiterhin in dem Glauben, dass eine Gestalt aus alten Sagen in der Judenstadt ihr Unwesen treibe?«
    »Weil, Gräfin, sie mir die Wahrheit doch nicht glauben würden«, erwiderte Sarah leise, »und weil ein Traum, dessen Erinnerung allmählich verblasst, weniger schmerzhaft ist als eine zerstörte Illusion.«
    Die Czerny hob verwundert die Brauen. »Ist es Ihre Überzeugung als Wissenschaftlerin, die Sie so sprechen lässt?«
    »Nein«, antwortete Sarah leise. »Meine Erfahrung.«
    Die Tür der Kutsche wurde geöffnet, worauf die Insassen ausstiegen. Ein wichtig aussehender Mann mit ergrautem Haar, der ein Monokel trug und seinen Kinnbart zu einem dreieckigen Spitz gestutzt hatte, kam vom Haupthaus herüber, ein breites Lächeln im Gesicht.
    »Professor Leopold Bogary«, raunte die Gräfin ihren Begleitern zu, »der Bibliotheksverwalter – und ein Speichellecker, wie er im Buche steht. Nach außen mimt er den ergebenen Freund, dabei hat er seit Jahren gegen meinen Mann intrigiert. Und er hat sich dagegen ausgesprochen, dass eine Frau am geisteswissenschaftlichen Seminar dozieren darf.«
    »Mit Verlaub, Gräfin«, erkundigte sich Hingis trocken, »warum geben wir uns

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