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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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mit meinen Bediensteten?«, erkundigte sie sich. »Der gute Trevor Gordon …?«
    »Tot«, stellte die Gräfin ungerührt klar. »Wer Widerstand leistete, wurde unschädlich gemacht. Unglücklicherweise hat sich dein gesamtes Gesinde als äußerst renitent erwiesen.«
    »Ich verstehe«, sagte Sarah und konnte nicht dagegen ankämpfen, dass ihr Tränen in die Augen stiegen. »Dafür werden Sie sich irgendwann verantworten müssen«, schluchzte sie, »ebenso wie für das, was Sie Kamal angetan haben. Wenn nicht in diesem Leben, dann vor dem höchsten Richter.«
    »Wer weiß das schon?«, sagte die Gräfin eisig und zuckte mit den Achseln. »Hier auf Erden ist jeder sein eigener Richter, nicht wahr?«
    »Was ist mit der Bibliothek geschehen?«, erkundigte sich Sarah, auf die verkohlten Seiten in ihren Händen starrend.
    »Ein Fraß der Flammen«, lautete die lapidare Antwort. »Es ist das Schicksal aller großen Bibliotheken, weißt du nicht mehr?«
    Sie lachte laut, und ihre helle, fast kreischende Stimme schlug wie eine Flutwelle über Sarah zusammen und drohte sie zu ertränken.
    Kincaid Manor war alles gewesen, was ihr geblieben war: das Vermächtnis jenes Mannes, den sie über alles geliebt hatte und dem sie alles verdankte. Auch wenn sie inzwischen nicht einmal mehr mit Bestimmtheit wusste, ob sie Gardiner Kincaid überhaupt ihren Vater nennen durfte, hatte der Gedanke an die ehrwürdigen Mauern und das Wissen, das darin gesammelt war, sie stets mit Zuversicht erfüllt und ihr Trost gegeben. Nun hatte man ihr auch das genommen …
    »Warum?«, fragte sie nur und schämte sich der Tränen nicht, die ihr inzwischen ungehemmt über die Wangen liefen. Auch die Berührung Hingis’, der zu ihr getreten war und ihr beruhigend die Hand auf die Schulter legte, konnte sie nicht beschwichtigen.
    »Um dir zu zeigen, mit wem du es zu tun hast«, sagte die Gräfin von Czerny mit einem Zischen, das dem einer Natter ähnelte. »Es gibt keinen Ort mehr, an dem du dich sicher fühlen könntest, keine Zuflucht und kein Entrinnen. Entweder du arbeitest mit uns zusammen, oder du wirst auch noch das Letzte auf Erden verlieren, das dir etwas bedeutet.«
    »Kamal«, flüsterte sie.
    »Ganz recht. Du siehst also, auch wir haben uns abgesichert, und es bleibt dir nichts, als mit uns zu kooperieren – oder du wirst das Schicksal des alten Gardiner erleiden und dein Leben in Bedeutungslosigkeit verlieren, verlöschen wie eine Kerze im Wind.«
    »Das ist mir gleichgültig.« Sarah straffte sich, hielt sich mit aller Macht aufrecht, um ihrer Widersacherin nicht auch noch diesen Triumph zu gönnen. »Alles, was ich will, ist Kamal. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich nichts unternehmen werde, was …«
    »Hältst du mich wirklich für so dumm?«
    »Ich möchte nur nicht, dass Kamal etwas zustößt«, versicherte Sarah, »und eine weitere Reise würde ihn nur zusätzlich schwächen.«
    »Wenn schon«, sagte die Gräfin nur.
    »Bitte«, sagte Sarah flehend, »es ist nicht notwendig, dass Sie ihn vor mir verbergen. Sie haben mein Wort, dass ich nichts unternehmen werde, das Ihnen oder Ihren Plänen zum Nachteil gereichen könnte. Zeigen Sie Gnade, dieses eine Mal …«
    Und zu Friedrich Hingis’ erkennbarem Entsetzen ließ sich Sarah vor ihrer Feindin auf die Knie nieder und senkte demütig das Haupt.
    »Sarah!«, zischte der Schweizer fassungslos. Genau das war eingetreten, was er insgeheim befürchtet hatte …
    »Da siehst du’s«, spottete die Gräfin genüsslich, die den Einwurf des Gelehrten missdeutete, »nicht einmal Dr. Hingis schenkt dir Glauben. Das Spiel geht also weiter, und zwar nach unseren Regeln.«
    »Nein, bitte nicht …«
    »Von Saloniki aus wirst du zu einer Expedition aufbrechen, um das Wasser des Lebens zu finden und zu uns zu bringen. Dein guter Kamal wird unterdessen an einem unbekannten Ort verweilen, unerreichbar für dich. Hast du verstanden?«
    »Warum das alles?«, fragte Sarah, die sich wieder auf die Beine erhob, innerlich bebend vor ohnmächtigem Zorn. »Und warum ausgerechnet ich?«
    Ludmilla von Czernys Antwort war ein weiteres Rätsel.
    »Wie wenig du doch weißt«, sagte sie leise, »und wie sehr du dich überschätzt …«

 
3. BUCH
HELLAS

1.
    R EISETAGEBUCH S ARAH K INCAID
N ACHTRAG
    Die Entscheidung ist gefallen. Das Versteckspiel, das mir ohnehin nicht leicht gefallen ist, hat ein Ende. Vielleicht sollte ich darüber erleichtert sein, aber ich bin es nicht. Denn obwohl ich jeden Schritt sorgfältig

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