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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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beeindruckt. Er sagte dasselbe wie schon zuvor, nur lauter und eindringlicher.
    »Er bleibt dabei. Wir alle verhaftet.«
    »Mit welcher Begründung? Weil wir Spione sind?«
    »Lady Kincaid, Mann wie er braucht keine Begründung. Herrscht ganz allein hier draußen. Recht des Stärkeren.«
    »Ich verstehe.« Sarah biss sich auf die Lippen. Sie konnten nicht nach Iaina zurück. Allein dieser Umweg würde sie weitere drei Tage kosten, von der Zeit, die sie in türkischer Kerkerhaft verbringen würden, ganz zu schweigen. Sarah wollte nicht umkehren, nun, da sie vielleicht so kurz vor dem Ziel waren …
    »Frag ihn, was er haben will«, wies sie Perikles an.
    »Ich soll fragen, was …?« Er schaute sie verunsichert an. »Aber Lady Kincaid, ich Ihnen sagte, dass …«
    »Ich weiß«, sagte sie energisch. »Los, frag ihn.«
    Zögernd wandte sich der Makedone dem Hauptmann zu und übersetzte. Die dunklen Brauen des Offiziers zogen sich daraufhin eng zusammen. Die Brust stolzgeschwellt und die Hände im Rücken verschränkt, trat er vor Sarah und taxierte sie durch halb geschlossene Lider. Dann stellte er eine einzelne, kurze Frage.
    »Er will wissen, was Sie haben«, dolmetschte Perikles zu seiner eigenen Verwunderung.
    »Sagen Sie ihm, er bekommt einhundert britische Pfund«, antwortete Sarah eisig, dem Blick des Hauptmanns trotzend. »Das ist mehr als genug.«
    Perikles übersetzte erneut, worauf sich die Augen des Offiziers noch weiter verengten. Kurzerhand griff seine behandschuhte Rechte in die Taschen von Sarahs Jacke und Weste und durchsuchte sie. Sarah duldete die unerwünschte Berührung, ohne mit der Wimper zu zucken – angesichts der schussbereiten Gewehre, die auf sie gerichtet waren, blieb ihr ohnehin nichts anderes übrig. Als der Hauptmann seine Hand wieder zurückzog, hielt er darin eine goldene Kette, an der eine Taschenuhr baumelte.
    Gardiner Kincaids Chronometer!
    Sarah bemühte sich, sich die Bestürzung nicht anmerken zu lassen. Die Uhr war der letzte weltliche Besitz, der ihr vom alten Gardiner geblieben war. Kincaid Manor war vernichtet und mit ihm alle Wissensschätze und Artefakte. Geblieben war nur dieses eine Stück – aber wenn es half, Kamal zu retten, würde sich Sarah auch davon trennen …
    »Haben wir einen Handel?«, erkundigte sie sich. Sie war sicher, dass die Frage auch ohne Übersetzung verstanden wurde.
    Der Offizier betrachtete die Uhr von allen Seiten, zog sie auf und horchte daran. Mit einem zufriedenen Nicken ließ er sie daraufhin in der Tasche seines Uniformmantels verschwinden und murmelte etwas.
    »Sagt, dass für baldige Freilassung einsetzen, aber mitnehmen trotzdem«, übersetzte Perikles.
    »Das war nicht unsere Abmachung!«, schnaubte Sarah und ballte die Fäuste. Angesichts des Zorns, der jäh in ihre Adern schoss, vergaß sie für einen Moment die Gewehre.
    »Nicht ihre Abmachung«, verbesserte Perikles mit einem Tonfall, der besagte, dass er nichts anderes erwartet hatte, »aber seine. Hatte Sie gewarnt, Lady Kincaid …«
    »Aber ich will nicht nach Iaina!«, blaffte Sarah laut. »Ich befinde mich auf einer dringenden Mission und habe keine Zeit für derlei Unfug. Ich bin britische Staatsbürgerin und habe nichts zu schaffen mit diesem unseligen Krieg. Los doch, sag das diesem geldgierigen Betrüger!«
    Perikles sandte ihr einen zweifelnden Blick, als wolle er sich vergewissern, ob sie es tatsächlich ernst meinte. Erst dann machte er sich an die Übersetzung. Dass er sich dabei eng an den Wortlaut hielt, den Sarah ihm aufgegeben hatte, war den immer größer werdenden Augen und den sich zunehmend rötenden Zügen des Hauptmanns deutlich zu entnehmen. Abrupt wandte er sich ab, und statt sich auf einen Wortstreit einzulassen, gab er eine Reihe heiserer Befehle an seine Untergebenen, die diese sofort ausführten.
    »Kakó«, rief Perikles dabei immerzu. »Kakó «
    Während einige der Soldaten die Gefangenen in Schach hielten, traten die anderen heran, um sie mit groben Stricken zu fesseln. Als Sarah und Hingis sich lautstark beschwerten, wurden ihnen Knebel umgelegt. Sarah würgte, als ihr ein Stück morsches Holz in den Mund gestopft und mit einem schmutzigen Tuch festgebunden wurde. Dann verstummte sie – und alles, was auf der Lichtung noch zu hören war, war das Prasseln des Feuers und das selbstgefällige Lachen des Offiziers, der im Licht der Flammen seine neue Taschenuhr in Augenschein nahm und sich an ihrem goldenen Glanz erfreute.

4.
    R EISETAGEBUCH S ARAH K

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