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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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gefangen und ihr im wahrsten Sinn des Wortes die Hände gebunden waren.
    In Gedanken sah sie Kamal reglos auf seinem Lager ruhen, und sie erinnerte sich an das Versprechen, das sie ihm gegeben hatte. Wie es aussah, würde sie es wohl nicht erfüllen können. Vielleicht war es ihr Schicksal, jene, die sie liebte, zu enttäuschen und zu verletzen.
    Sarah war so in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie jemand vor sie getreten war. Erst jetzt blickte sie an den schmutzigen Stiefeln und der dunklen Uniform empor in die bärtigen Gesichtszüge eines türkischen Sergeanten.
    Breitbeinig hatte sich der Unteroffizier vor ihr aufgebaut und sprach einige Worte. Auch ohne Perikles’ Hilfe konnte Sarah hören, dass sie voller Spott und Anzüglichkeit waren.
    Was genau der Kerl sagte, blieb ihr verborgen, die Reaktion seiner Untergebenen, die am Feuer saßen und jedes Wort mit derbem Gelächter quittierten, sprach jedoch Bände. Sarah versuchte, ihn zu ignorieren, aber der Sergeant hatte nicht vor, es dabei bewenden zu lassen.
    Unerwartet griff er nach seinem Säbel. Die Klinge blitzte im Widerschein des Feuers, und im nächsten Moment hatte Sarah den rasiermesserscharfen Stahl an ihrer Kehle. Hingis neben ihr ließ ein protestierendes »Mhmmm« vernehmen. Zu mehr war er in Anbetracht der Fesseln und des Knebels nicht in der Lage.
    Ohne mit der Wimper zu zucken, blickte Sarah dem Unteroffizier ins Gesicht. Was hatte sie noch zu verlieren? Was hatte man ihr noch nicht genommen? Fast sehnte sie sich danach, dass der Sergeant zustoßen und ihrer Qual ein Ende setzen würde. Doch dieser dachte gar nicht daran. Mehr Freude schien es ihm zu bereiten, Sarahs Gesicht und Haar mit der Klinge zu befühlen und schließlich, zur hellen Freude seiner Leute, die Riegel an ihrem Mantel einen nach dem anderen zu durchtrennen.
    Eisige Blitze schlugen aus Sarahs Augen. Hätten ihre Blicke zu töten vermocht, der Sergeant wäre zu Boden gesunken. Er trieb jedoch weiterhin ungerührt sein frevlerisches Spiel. Geschickt drehte er die Klinge so, dass sie die Knöpfe am Ausschnitt ihrer Bluse abschnitt. Weiße Haut und der Ansatz ihrer Brüste wurden sichtbar, was dem Soldaten ein lüsternes Keuchen entlockte.
    Sarah bebte innerlich vor Zorn, aber weder konnte sie sich abwenden noch sich erheben. Auch an Gegenwehr war nicht zu denken, nicht einmal beschimpfen konnte sie ihren Peiniger. Sie war den Launen des Uniformierten hilflos ausgeliefert.
    Dem Sergeanten war dies nur zu bewusst. Mit leuchtenden Augen und einem widerwärtigen Grinsen im Gesicht wollte er sein Werk fortsetzen, als plötzlich jemand hinter ihn trat und ihn auf die Schulter tippte. Mit einer unausgesprochenen Frage auf den Lippen wandte er sich um – und stand seinem Hauptmann gegenüber, der wider Erwarten noch nicht schlief und sein Zelt verlassen hatte.
    Der Wortwechsel zwischen den beiden war ebenso kurz wie prägnant. Im nächsten Moment landete die behandschuhte Rechte des Offiziers im Gesicht des Untergebenen und machte aus seiner Nase einen fleischigen Klumpen. Bedauern lag im Gesicht des Hauptmanns, als er auf Sarah herabblickte. Seinen sich am Boden windenden Landsmann würdigte er keines Blickes mehr.
    Er wollte sich abwenden, um ins Zelt zurückzukehren, als er wie vom Donner gerührt stehen blieb.
    Einen Augenblick lang wankte er, dann brach er, zu Sarahs hellem Entsetzen, unmittelbar vor ihr zusammen. Aus seiner Brust ragte der Griff eines Wurfmessers.
    Einen endlos scheinenden Augenblick lang herrschte völlige Stille auf der Lichtung – dann geschah alles gleichzeitig.
    Sobald die Soldaten begriffen, was ihrem Anführer widerfahren war, sprangen sie auf und gaben plärrend Alarm. Schüsse fielen, und einige von ihnen sanken getroffen zu Boden. Ein weiterer Soldat wurde angeschossen und strauchelte, stürzte in das Lagerfeuer, um sich, einer lebenden Feuerwalze gleich, über den Boden zu rollen, am ganzen Körper brennend und erbärmlich schreiend.
    Die Soldaten griffen zu ihren Gewehren und begannen, wild um sich zu schießen, geradewegs in das Dickicht, in dem sie den noch immer unsichtbaren Feind vermuteten. Der Sergeant, der sich wieder auf die Beine gerappelt hatte, seinen Säbel in den Händen, suchte sie mit heiseren Rufen zur Räson zu bringen, aber er verstummte jäh, und Sarah sah das hässliche Loch, das in seiner Stirn klaffte und von dem ein dünner Blutfaden über seine finsteren Züge rann. Mit einem Ausdruck schieren Unglaubens im Gesicht

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