Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
Vom Netzwerk:
plötzlich das Gefühl, dass sich die Wände des Stollens bewegten. Schillernd wurde das Licht der Fackel zurückgeworfen, von etwas, das sich tausendfach bewegte und durcheinander wimmelte und dabei nicht nur die Wände, sondern auch die Decken und den Boden überzog.
    Kleine, etwa zwei Inches lange Tiere, die sich auf acht Beinen bewegten, bedrohlich aussehende Scheren hatten und einen nach oben gekrümmten Schwanz, an dessen Ende ein gefährlicher Stachel prangte.
    Skorpione.
    Nicht nur ein paar davon – sondern unzählige.
    Sarah unterdrückte den Ekel, der in ihr emporstieg. Je näher sie kam, desto deutlicher konnte sie die kleinen, schwarz gepanzerten Leiber sehen, die kreuz und quer durcheinander krochen und aus einer Spalte im Fels zu kommen schienen, die sie zu Hunderten auswarf. Immer wieder fielen Tiere von der Decke herab, verschwanden im tausendfachen Heer, das über den Boden wimmelte, um sogleich wieder an den Wänden emporzuklettern – ein bizarrer Vorhang, der sich beständig hob und senkte, ein Paravent des Grauens …
    Aufgrund der Strömung kam Perikles nur langsam voran. Nahe der Stelle, wo der Acheron in den See floss, steuerte er das Ufer an und ging an Land. Nachdem er den Nachen unter einigen tief hängenden Ästen versteckt hatte, kletterte er die Böschung hinauf und ging Richtung Nordwesten, geradewegs durch den Wald. Wenn er dem Verlauf des Flusses folgte, würde er wieder zurück in jene Gegend gelangen, wo sich die Spur des Schweizers verloren hatte.
    Erneut musste er an zu Hause denken, als ihn das Kreischen und der Flügelschlag einiger Vögel jäh aus seinen Gedanken rissen. Abrupt blieb Perikles stehen, sah die Tiere aufgeregt über den Bäumen davonflattern. Irgendetwas hatte sie aufgeschreckt …
    Einen Augenblick lang verharrte der Makedone und lauschte. Als er kein verdächtiges Geräusch mehr vernehmen konnte, ging er langsam weiter. Dabei schaute er sich vorsichtig um.
    Plötzlich ein Knacken im Geäst über ihm, ein Fauchen und ein herabwischender Schatten. Blitzschnell fuhr Perikles herum – um sich einer blau uniformierten Gestalt gegenüberzusehen, die mit ihrem Gewehr auf ihn zielte. Mit einer Verwünschung auf den Lippen wollte sich der Makedone zur Flucht wenden, doch er gefror in seiner Bewegung – denn ringsum tauchten plötzlich noch mehr Uniformierte aus dem Dickicht auf, die ihn mit geladenen Waffen bedrohten und jeden Fluchtversuch sinnlos machten. Bereitwillig hob er die Hände, um zu signalisieren, dass er keinen Widerstand leisten wollte.
    Da teilte sich das Gebüsch abermals, und ein hochgewachsener Mann trat daraus hervor, der die reich verzierte Uniform eines türkischen Obristen trug. Mit zusammengezogenen Brauen taxierte er Perikles von Kopf bis Fuß.
    »Wo ist sie?«, erkundigte er sich in schlechtem Türkisch.
    »Wer?«, fragte Perikles zurück.
    »Sarah Kincaid«, erwiderte der Offizier – und Perikles ahnte, dass er seine Frau und Kinder nicht wiedersehen würde.
    Schaudernd fragte sich Sarah, ob es die Skorpione auch schon in antiker Zeit gegeben haben mochte.
    Womöglich waren sie hier angesiedelt worden, um all jene abzuschrecken, die den Stollen nur halbherzig betreten hatten. Ihr war klar, dass sie die Barriere überwinden musste, wenn sie das Geheimnis ergründen wollte, und sie besann sich der festen Stiefel und der Jacke aus Rossleder, die sie trug – was es für die Bewohner des alten Griechenlands bedeutet hatte, die selten mehr als eine Tunika und Sandalen getragen hatten, wagte sie sich nicht vorzustellen. An das Gift der Skorpione versuchte sie gar nicht erst zu denken.
    Die Fackel dicht über dem Boden haltend, versuchte sie die Tiere zu vertreiben, aber die Skorpione scherten sich nicht darum. Also blieb Sarah nur, sich ein Herz zu fassen, den Kopf tief zwischen die Schultern zu ziehen – und zu laufen.
    Es kostete sie alle Überwindung. Sie zwang sich, an Kamal zu denken und an die Fehler, die sie begangen hatte und die sie keinesfalls wiederholen wollte – dann rannte sie los.
    Es war grauenvoll.
    Augenblicke lang sah sie ringsum nichts als krabbelnde Tiere und hörte, wie einige von ihnen unter den Sohlen ihrer Stiefel zerquetscht wurden. Ein Skorpion fiel von der Decke und landete im Kragen ihrer Jacke – mit einer blitzschnellen Handbewegung bekam sie ihn zu fassen und schleuderte ihn von sich.
    Im nächsten Moment war es vorbei.
    Noch einige Schritte lief Sarah weiter, während sie panisch und von Ekel geschüttelt um

Weitere Kostenlose Bücher