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Am Ufer Des Styx

Am Ufer Des Styx

Titel: Am Ufer Des Styx Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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Geräusch.
    Aufgeschreckt fuhr Sarah hoch, nur um entsetzt festzustellen, dass die Erschöpfung sie übermannt hatte und sie eingeschlafen war, über aufgeschlagenen Büchern brütend und das Kinn auf die Faust gestützt. Ein Blick auf die Taschenuhr aus dem Nachlass ihres Vaters verriet ihr, dass ihr Schlaf tatsächlich nur wenige Minuten gewährt hatte, was sie erleichtert aufatmen ließ. Dann erinnerte sie sich an das Geräusch, das sie geweckt hatte, und unwillkürlich fragte sie sich, ob es echt gewesen oder nur im Traum vorgekommen war …
    »Jonathan?«, rief Sarah und blickte sich um. Außerhalb des blassgelben Scheins der Gaslampe war der Lesesaal jedoch in tiefste Dunkelheit getaucht, zudem waren Sarahs Augen vom Licht geblendet und sahen nichts als helle Flecke.
    »Jonathan? Sind Sie das …?«
    Das Echo ihrer eigenen Stimme hallte aus dem hohen Rund der Kuppel wider – eine Antwort erhielt Sarah jedoch nicht.
    Dafür konnte sie plötzlich das Geräusch von Schritten vernehmen. Plumpe, schwerfällige Schritte auf hartem Stein, die sich ihr schleppend näherten.
    »Jonathan …?«
    Sarah erschrak darüber, wie brüchig und elend ihre Stimme klang, und sie fühlte, wie eisige Schauder ihren Rücken hinab rieselten. Ohnehin war es empfindlich kalt in der hohen Halle; der Nebel, der um diese Jahreszeit durch Londons Straßen und Gassen kroch, schien auch vor dem Museum nicht Halt zu machen, sodass Sarah Schal und Mantel trug. Die Kälte, die sie in diesem Augenblick fühlte, rührte jedoch nicht von der späten Jahreszeit.
    Es war die Aura der Bedrohung, die Sarah fühlte und die sie schaudern ließ …
    »Jonathan …?«
    Ihre Stimme klang fast flehend, denn mit jeder Sekunde, die verstrich, ging ihr deutlicher auf, dass es keineswegs der beleibte Kutscher war, der sich ihr näherte, sondern jemand anders.
    Ein Feind …
    Langsam, wie in Trance, stand Sarah auf, den Blick in das undurchdringliche Dunkel gerichtet, das sich jenseits des Lampenscheins erstreckte – und in dem sie plötzlich die Umrisse einer unheimlichen Gestalt zu erkennen glaubte. Hünenhaft groß war sie und trug einen langen Stab bei sich, auf den sie sich beim Gehen stützte, während ein weiter Kapuzenmantel sie umfloss und jeden ihrer Schritte mit einem grausigen Rauschen begleitete.
    Sarah sog scharf die Luft ein und schlug die Hand vor den Mund, als sie erkannte, dass es dasselbe Schreckbild war, das sie auch schon im Moor von Yorkshire verfolgt hatte …
    »W-wer sind Sie?«, hörte sie sich selbst fragen, obwohl ihr ein schrecklicher Verdacht dämmerte. »Was wollen Sie von mir?«
    Die Gestalt im Mantel gab noch immer keine Antwort, aber sie näherte sich weiter, und Sarah merkte, wie Furcht nach ihrem Herzen griff. Der Gedanke an Flucht kam ihr in den Sinn, aber wohin hätte sie sich wenden sollen? Ringsum herrschte Dunkelheit; solange sie an Ort und Stelle blieb, konnte sie den unheimlichen Besucher wenigstens sehen …
    »Sarah«, sagte dieser jetzt, mit einer Stimme, die keineswegs unangenehm klang oder bedrohlich, sondern sogar sehr vertraut. »Sarah …!«
    Sie hielt den Atem an, als der Fremde unmittelbar vor sie trat und seine Hand ausstreckte, um sie an der Schulter zu berühren. Vergeblich versuchte sie, einen Blick auf sein Gesicht zu erhaschen, das in den Schatten der Kapuze verborgen war.
    »Sarah«, sagte er noch einmal und rüttelte sie. Dabei fiel die Kapuze herab, und der Lichtschein der Lampe erfasste die Züge der hünenhaften Gestalt.
    »Charon …?«
    Sarah rang nach Luft, als sie in ein entstelltes Gesicht blickte, aus dem ihr nur ein einzelnes Auge entgegenstarrte. Sie schrie laut und fuhr hoch – um sich zu ihrer größten Verblüffung am Tisch sitzend wiederzufinden, umgeben von Bergen aufgeschlagener, übereinander geschichteter und aufeinander gestapelter Bücher …
    »Sarah, was ist mit Ihnen?«, erkundigte sich die Stimme wieder, die, wie Sarah jetzt bemerkte, keineswegs einem einäugigen Riesen gehörte, sondern keinem anderen als Sir Jeffrey. Mit angespannter Miene hatte sich der königliche Berater über sie gebeugt und schaute besorgt auf sie herab. »Alles in Ordnung?«, erkundigte er sich.
    »I-ich nehme es an«, erwiderte Sarah und schaute sich verwundert um. Erst ganz allmählich dämmerte ihr, was geschehen war, und ein Blick auf die Taschenuhr beseitigte die letzten Zweifel.
    Halb zwölf.
    Sie hatte tatsächlich geschlafen – allerdings nicht nur einige Augenblicke, wie ihr kurzer, aber

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