Am Ufer (German Edition)
Karbonfiber.
Man muss an den wenigen Prinzipien, die uns bleiben, festhalten. Dass der Reis der Paella unten seine Kruste bekommt, die
foie gras
und die Trüffel aus dem Périgord stammen und der Essig aus Modena –« jetzt scherzt er. »Die neuen Prinzipien – der letzte Halt – taugen, um den Wein zu wählen, die Maste fürs Segelboot und die Munition für die Jagd. Das ist inzwischen das Spielfeld von Ethik und Ästhetik, die, wie wir wissen, oft ein und dasselbe sind. Deine Ethik ist der Anzug, den du anziehst, die Schuhe, die du trägst, der Wein, den du trinkst, und ob du einen frisch gefangenen Fisch wählst oder einen tiefgefrorenen Block Heilbutt, der vom eisigen Arsch der Welt kommt; Ethik und Ästhetik liegen im Holz« – danke für die Blumen, Freund Francisco – »und Antiästhetik und Antiethik in der Glasfiber. Die Zeiten haben sich geändert.«
Na klar ändern sich die Zeiten, Francisco. Das Leben hört gar nicht damit auf, es ist die reine Veränderung. Es hat kein anderes Ziel, Wandel, nichts als Wandel, das wussten schon die alten Griechen, du badest nie in demselben Fluss, badest nicht einmal denselben Körper, heute badest du den Pickel, der gestern noch nicht da war, diese Krampfader, die sich in langen Stunden gebildet hat, diese wunde Stelle in der Leiste oder an der Fußsohle, die wegen des zu hohen Blutzuckers nicht heilen will; alles Lüge, was die Utopisten behaupteten, dass auf dieses ganze Getriebe von Geiz und Geilheiteine friedliche Welt folgt, in der wir alle Brüder sind und uns, wie im goldenen Zeitalter des Quijote, brüderlich die vorhandenen Eicheln teilen. Unter der Käseglocke des Himmels gibt es keinen göttlichen Frieden, sondern einen Krieg aller gegen alle, von allem gegen alles. Schlimm ist nur, dass nach all dem vielen Wandel am Ende doch alles mehr oder weniger das Gleiche ist. Francisco klagte: Das Leben, ein Fiasko. Was man eben so sagt, wenn man mehr als drei Drinks intus hat. Aber was soll das Leben schon sein, wenn du siebzig wirst oder schon bist? Genau das, ein Fiasko. Unabänderlich? Ja klar, unabänderlich. Heute schlimmer als gestern, aber besser als morgen. Das ist die Agenda des Siebzigjährigen. Leonor Gelabert hat gewonnen, denn der einzige Sieg ist, beizeiten zu sterben, erinnerst du dich, wen die Götter lieben, den rufen sie jung zu sich. Sie hat sich das, was sie hatte, eigenhändig verdient, sie hat daran gearbeitet, hat nicht daran gezweifelt, dass der Zweck die Mittel heiligt, ein Prinzip, das jesuitisch genannt wird, das aber die alten Griechen sicher auch schon kannten, die Mittel: Was zu tun ist, die Kröten, die zu schlucken sind, aber auch das, was zu opfern ist, was man von sich fernhalten muss, und sei es mit einem Tritt: ein Schreiner, der sich ihrer erinnert, ein rotes Bläschen, das die Wasser spülung fortschwemmt, das gehört – gehörte – zu dem Prozess der Läuterung, sind Etappen ihres Aufstiegs zum kulinarischen und gesellschaftlichen Berg Karmel. Wenn jemand eine faktenreiche Biografie über sie schriebe, würde er von Opfern sprechen, von Entscheidungen, die den Umfang ihrer Selbstverleugnung wachsen ließen, von ihrer strikten Askese, bis sie die Perfektion in der Küche erreicht hatte, und dank dieser Opfer und Verzichte sei dann auch der Moment der Lebensfülle gekommen. Sie hatte das Glück, genau da zu sterben, ganz oben, nicht wie wir, die wir Egoisten und Feiglinge sind: Obwohl die Fülle des Lebens schon lange vorbei ist, versteifen wir uns darauf, weiterzuleben, nie scheint uns der Zeitpunkt gekommen zu verschwinden, wir tun so, als seien wir noch nicht an jenem Punkt angelangt, wo es nur noch abwärts geht, und dann klagenwir über den Verfall, über unser Scheißleben, über den nur noch chemischen, medikamentösen Widerstand: Tabletten, Seren, Dränagen, die Sauerstoffschläuche in der Nase, den Katheter im Schwanz. Wir wimmern. Ja, was hast du denn erwartet, dass dein Schwanz noch mit siebzig wächst? Einen Sieg im Triathlon? Die Gelabert hat der Blitz auf dem Gipfel getroffen, eine beneidenswerte Inszenierung, wenngleich, wir wissen ja, dass nie etwas ganz perfekt ist, das letzte Kapitel geriet zu lang: Chemo, ein Stau widerwärtiger Gifte, Erbrechen, all das, was du erzählt hast, die Haare, die ihr strähnenweise ausfielen, Nägel, die sich von der Haut lösten, dunkle Flecken am ganzen Leib, Gaumen und Zunge wund; und der Sohn, für sie eine Art Quaddel oder Furunkel, hat ihr auch nicht viel Freude
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