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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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Fernsehen gezeigt haben? Entsetzlich, sag ich dir. Als hätten sie ihn durch die Kaffeemühle gedreht. Mein Gott, solche Bilder in den Nachrichten, wenn die Familie gerade beim Essen sitzt, es dreht einem den Magen um. Man müsste das verbieten.«
    Bernal:
    »Aber wenn sie es verbieten, siehst du es nicht. Eine Sauerei. Du kriegst es nicht vorgesetzt. Sitzt da bei der Trübsal einer Kichererbsensuppe ohne Einlage. Fastenessen. Und dabei mögen wir doch alle einen ordentlichen Eintopf mit Speck, Haxe und Markknochen.«
    Francisco:
    »Aber das ist nicht ohne Risiko. Ob du der Tote oder der Töter bist, wenn sie als Foto einen alten Schnappschuss mit deinen Eltern bringen, elende Bäuerlein aus dem Neolithikum, oder mit den Freunden aus der Jugendzeit auf einem Fest, das Papphütchen auf dem Kopf und die Tröte im Mund, dann machst du dich am Endenur lächerlich. Die auf der Fete haben einen entgleisten Blick, offene Münder und zerwühltes Haar und riechen auch noch dreißig Jahre danach nach billigem Fusel. Geben ein erbärmliches Bild ab. Solche Fotos sieht man ab und zu in den Zeitschriften, die vom Stadtrat mit dem Vorwand finanziert werden, die Erinnerung daran, wie der Ort einst war, solle nicht verloren gehen, dabei wäre das, was er war – es hat sich nicht viel verändert –, am besten wie das Grab des Cid mit sieben Schlüsseln zu verschließen, wie der Reformer aus dem 19. Jahrhundert formulierte, um es dann für immer zu vergessen.«
    Bernal:
    »Mit dem Ausweisfoto kommst du nicht viel besser weg, eingeschüchtert wie immer, wenn du dich etwas Amtlichem stellen musst – und dann auch noch der Polizei –, schaust du wie ein verschreckter Ochse, der als zahme Kuh durchgehen will, damit der immer achtsame Kommissar keinen Verdacht schöpft (wer hat schon nichts zu verbergen?); und auf den Fotos vom Militärdienst derselbe Widerschein von Wein mit Sprudel wie auf dem Fest mit den Freunden, aber dann auch noch umringt von Unbekannten, sie sehen geistig und ökonomisch behindert aus, hässlich und grob wie aus Lombrosos Verbrecher-Album. Warum haben alle Kumpel vom Militärdienst diese schwachsinnigen Züge? Mit solchen Bildern bleibst du weit hinter deinen Ansprüchen zurück, und seien die auch noch so bescheiden. Besser, man hat gar keine Biografie; und wenn du mich fragst: auch keine Existenz.«
    Carlos, der Sparkassenleiter, der von Alcázar nach San Juan versetzt wurde:
    »Da hast du völlig recht. Sind ein paar Jahre vergangen, ist uns auf Fotos genau der Stall anzusehen, aus dem wir kommen. Je moderner du in der Gegenwart sein willst, desto mehr verrätst du dich in der Zukunft. Du verwandelst dich in ein Symptom. Das kommt davon, in einem armen Land und einem noch ärmeren Dorf geboren zu sein. Dein Gesicht: ein Schaufenster der vielen Tonnen Linsenund Kichererbsen im Ernährungsplan deiner Vorfahren. Ernährung ohne jede Frische, steinige Hülsenfrüchte, steife Streifen von gesalzenem Stockfisch.«
    Francisco:
    »Das sagst du, weil du aus Kastilien kommst. Hier reicht die tradierte Diät von Hülsenfrüchten bis zum allgegenwärtigen Reis, und an Frische fehlt es nicht, reichlich Gemüse und Fisch. Die Ernährung ist anders, das Leid dasselbe.«
    Ich:
    »Eine schlichte Klassenfrage. Die Bilder der oberen Schichten werden im Laufe der Zeit nur edler. Schau dir diese englischen Kostümfilme an, die Fernsehserien,
Rückkehr nach Brideshead
oder
Zimmer mit Aussicht
. Den Reichen steht das Vergehen der Zeit ausgezeichnet, es versetzt sie mitten in die Geschichte.«
    Francisco:
    »Da vermischt ihr etwas, klar, Reiche und Arme, Oben und Unten, aber dann klafft noch der Abgrund zwischen Briten und Spaniern, Norden und Süden, Europa und Afrika. Denn das hier, mögen wir es auch noch so sehr bestreiten, ist immer noch Afrika, und das beginnt an den Pyrenäen. Wir haben fünfzehn oder zwanzig Jahre mit einer Sinnestäuschung gelebt. Ist euch nicht aufgefallen, dass seit der Krise selbst der Fuhrpark hier langsam mehr dem marokkanischen als dem schwedischen oder deutschen ähnelt?«
    Justino:
    »Ihr verliert euch in einem unzeitgemäßen Irredentismus. Schwachsinnig, steinzeitlich, von was redet ihr da? Die randalierenden englischen Hooligans sind zutiefst europäisch, und wenn du sie im Fernsehen siehst, sehen sie zunehmend nach weit niedrigeren Arten aus: Schweine, Ochsen, frisch geschorene Schafe. Unvorstellbar. Den Leuten macht es heutzutage nichts aus, peinlich zu sein, Hauptsache, es wird über sie

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