Am Ufer (German Edition)
weinen, und ich wusste nicht, was ich wollte; von diesem Sohn sprechen, der vor Juanlu hätte kommen können, der womöglich ein fleißiger Schüler, ein effizienter Koch geworden wäre, dieser Sohn, der ein rötliches Klümpchen war und in dem Wasserwirbel unterging, als die Frau an der Kette der Wasserspülung zog in jener Wohnung in Valencia.
Was da mit dem Wasser davonschwamm, ermöglichte die Reise, die sie ein paar Tage später über Land antreten sollte: Wie hast du nur glauben können, dass ich für immer in diesem Kaff bleibe? Eine vielversprechende Zukunft: Überraschungshochzeit, verfrühter Trom melbauch, dazu die Kommentare der Nachbarinnen, nach fünf Monaten Mutterschaft und die Ewigkeit des Nichts für den Rest meines Lebens. Heute kommst du ein bisschen spät, Schatz, sicher warst du mit deinen Kumpels in der Bar, schau, jetzt ist der Reis zu weich geworden, ein Jammer. Hast du mich wirklich einmal in dieser Rolle gesehen? Du hast Zeit genug gehabt, mich kennenzulernen. Ich schluchzte: Aber ich liebe dich, und du hast gesagt, dass du mich liebst. Leonor: Beim Vögeln sagt man alles Mögliche. Das gilt nicht. Wir beide haben uns in der Wüste Gesellschaft geleistet,wir hatten dann und wann Spaß miteinander, das ist alles. Oder habe ich dir etwa je was versprochen? Ich gehe, und du solltest dir auch überlegen, wie du hier wegkommst, statt dein Leben in dieser Scheißschreinerei zu vergeuden, bei einem Vater, der vierzig Jahre nach Ende des Krieges immer noch glaubt, dass wir mittendrin stecken und die aufregendste Schlacht noch zu schlagen ist.
Das war nicht das einzige Mal, dass Francisco in dieser klagenden Tonlage mit mir sprach. Die ersten Herzensergießungen kamen wenige Tage nach seiner endgültigen Rückkehr, als er bereits die Kaufverhandlungen für das Haus der Civera abgeschlossen hatte (davon war an jenem Tag allerdings nicht die Rede, kein Wort), er kam, um sich als bescheidener Bauer (unser lokaler Josep Pla) hier niederzulassen, und für diese Rückbesinnung auf die Einfachheit unterschrieb er den Vertrag über den Erwerb des besten Hauses am Ort, das der einstigen Herren der Gemeinde, auch hatte er da schon seit einiger Zeit das Segelschiff am Steg von Marina Esmeralda festgemacht, wenige Meter von der Terrasse entfernt, auf der wir später ein paar Mal gesessen und geschwatzt haben, wobei ich von dessen Existenz noch nichts wusste, von dem er nie sprach, weil er mich – ach, die alten Freunde – brauchte, um sich auszuweinen, während er den anderen seine Triumphe vorbehielt. So ist die Freundschaft. Bei mir suchte er, dass Bewunderung sich mit einer Portion Mitleid anreicherte. Er kam mich in der Schreinerei besuchen, stand vor mir, auf der anderen Seite der Poliermaschine, und redete von der Freude, zum einfachen Leben zurückzukehren, versuchte mich davon zu überzeugen, wie hart doch sein Berufsleben gewesen sei, gratis durch die ganze Welt zu fahren, Weine im Médoc und in Burgund, in Südafrika, Australien und Kalifornien zu verkosten, in Fünf-Sterne-Hotels zu schnarchen, auf anderer Leute Kosten in Restaurants mit Michelin-Sternen zu essen und sich den Spielchen mit dem geschmierten Kolben hinzugeben, die auf allen fünf Kontinenten die Menschen anziehen. Er erzählte von seinen Erfahrungenin ethnischer Sexualität, und zwei Minuten später sprangen ihm die Tränen aus den Augen, weil ihm seine Frau so sehr fehlte, weil sein Sohn ihn so enttäuscht hatte, weil ihm seine Tochter so fern war und weil er uns all die Jahre so sehr vermisst hatte, uns Schwachköpfe, die in diesem Kaff geblieben waren und in den Taschen nach Kleingeld gekramt hatten, ohne Robuchon oder Troisgros, wir tranken Wein von der Kooperative (der vor ein paar Jahren noch ganz anders als der heutige war, ab dem dritten Schluck war man vergiftet), aßen den nach zweitausenderlei Weisen zubereiteten Reis – im Rohr, suppig, als Paella, mit Fisch –, so wie man ihn immer schon gegessen hat (das sammelt er jetzt in seinem Buch – es wird eine Enzyklopädie der Nahrungsmittel und der Küche dieser Zone, über tausend Seiten, zugleich literarische Übung und Forschung –, um unsere Sitten zu dokumentieren, so wie man die Sitten eines Indianerstamms dokumentiert), und spielten am Abend Karten und Domino mit denselben Scheißkerlen, die einem in den letzten fünfzig Jahren schon doppelt und dreifach was reingewürgt haben, denn Olba ist ein kleiner Ort, was bedeutet, dass du für das Theater des
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