Am Ufer (German Edition)
Erziehung zum Bürger
schon bis zum Kapitel Sex vorgedrungen und macht die Übungen«, spottet Justino. »Wir haben ungefähr das Gleiche gelernt, allerdings hinter einer Gartenmauer und ohne Anleitung.«
Der Pfäffikus von der Sparkasse, der das halbe Dorf wegen nichtbezahlter Hypotheken unbehaust macht, hat mich gerade einen Kapaun genannt. Ich hoffe, er erzählt nicht als Nächstes, dass ich pleite bin. Francisco schweigt. Das Schweigen drückt aus, dass die Unterhaltung sein Niveau unterschreitet. Ich spreche weiter. Besser von Sex reden als über die Pleite von Pedrós (die auch die meinige ist):
»Sexualerziehung. Als ob der Sexualtrieb erzogen, kontrolliert werden könnte und nicht immer die reine Unruhe wäre. Ich weiß nicht, warum sie sagen, er sei eine Quelle der Lust. Sie lügen, und sie wissen, dass sie lügen. Die Weisheit des Volkes hat das immer klar erkannt. Wenn jemand sagt, er will dich ficken oder dir den Arsch rammen, dann sagt er damit nicht unbedingt, dass er dir Lust bereiten will. Ich pack dich in Richtung Mekka, sagen sie, und du kannst dich auf das Schlimmste gefasst machen.«
Ab und zu, in seinen sentimentalen Momenten, sagt Francisco, ich hätte Glück gehabt, mein Leben hier, in der Schreinerei, zu verbringen:
»Du hast ein ruhiges Leben gelebt, ich beneide dich darum, vor zwanzig, dreißig Jahren habe ich das vielleicht nicht begriffen, begriff deine Entscheidung nicht, hierzubleiben, jetzt aber bin ich davon überzeugt: Du bist derjenige, der richtig gewählt hat. Schon John Huston sagte: Glücklich diejenigen, die nur ein Dorf, einen Gott, ein Haus gehabt haben, etwas in der Art. Ich hab mich auf derganzen Welt rumgetrieben, habe mich für alles auf diesem Planeten interessiert, und am Ende, was habe ich davon, nichts. Leo hat der Tod dahingerafft, und Juanlu (dein Junge, mein Freund Francisco, das Scheißgör, das Leonor dann doch haben wollte, das aber nicht das meine war) hat sich mit einem Geschäft selbständig gemacht, was weiß ich (interessiert mich auch nicht), und meine Tochter Luisa hat nur Augen für das spitzzähnige Auf und Ab an den Börsenbildschirmen. Wenn ich mich für seine Sachen interessierte, klagte mein Sohn: Lass mich in Ruh, ich ertrag es nicht, wenn du dich in mein Leben einmischst, gerade du, der du immer gemacht hast, was du wolltest. Stell dir vor, mein Sohn. Ich habe auf ihn gehört. Ich beschäftige mich keine Sekunde lang mit seiner Zukunft. Er hat es nicht ertragen, dass seine Mutter ihm als Erbe ein Restaurant im Höhenflug, einen Selbstläufer, hinterlassen wollte; auch nicht – er wählt à la carte –, in meine Fußstapfen zu treten und einen mit Ansehen verbundenen Namen zu nutzen, schließlich respektiert man mich nicht umsonst in der Welt der Gastronomie und bei der einschlägigen Presse, im Weingeschäft und im Gourmetsektor; er hätte es leicht bei den Banken gehabt und jedweden Kredit bekommen, um sich auf dem Gebiet selbständig zu machen. Aber er hat es nicht gewollt, und hier siehst du mich, mutterseelenallein. Francisco beklagt sich darüber, dass seine Anstrengungen nicht vererbbar sind und mit ihm sterben. In hundert Jahren wird man keinen im Fernsehen oder in der Zeitung sehen, der sagt, ich bin die fünfte Generation der Marsals, aus der gastronomischen Dynastie, die mein Ururgroßvater begründet hat. Der Arme, allein auf seiner Jacht, ein Robinson auf einem schwimmenden Eiland, so etwas wie diese trügerischen Pflanzenmassen, die im Sumpfgelände treiben; allein in seinem Herrenhaus, ein Mönch, der des Nachts in seiner Trappistenzelle sitzt; und in seinem dicken BMW galoppiert er, ein Tuareg auf seinem Kamel, durch die endlosen Wüsten der Lieblosig keit. Das hat es in sich. Ja, ich habe noch vor wenigen Monaten Francisco mit Tränen in den Augen – zugegeben, er war etwas angetrunken– gesehen, wir saßen auf der Terrasse eines Lokals an der Marina Esmeralda, unbequeme minimalistische Stühle, eine Topfpalme auf dem Kai (das Wasser um die Anlegestege ist nicht gerade smaragdklar, nachts unter den Lampen entfaltet es seine Leuchtkraft: phosphorsattes Gelb, giftige Grüntöne, Neonblau. Reste von Schmieröl, Brennstoffen, fettigen Sonnencremes, Putzmitteln: Marina Chemie, Marina Kuwait), die Maste des Segelschiffs markieren den Nachthimmel unter dem zunehmenden Mond (oder nahm er ab?), klassische Maste, aus Holz, auch wenn die unpraktischer sind, mehr Instandhaltungsarbeiten erfordern; nichts von Aluminium oder
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