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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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die Illusion von Freiheit, eines unverseuchten Genusses. Auch wir Menschenwesen begeben uns ungeschützt in unsere Umwelt. Bei diesem Gedanken werden mir wieder die Augen feucht. Ich könnte heulen. Ich schlage mit der Faust aufs Steuerrad (Obacht mit dem Airbag, bei einem Schlag wie eben könnte er herausspringen), bevor ich die Tür des Toyotas öffne, ich brauche genügend Raum, um mir die Gummistiefel anzuziehen, die auf dem Boden vor dem Beifahrersitz liegen. Während ich hineinschlüpfe, sehe ich erneut die Gestalt des Vogels, der kleiner wird, bis man ihn aus dem Blick verliert, das Gesicht von Liliana: Wissen Sie, ich habe das Glück gespürt, als ich dachte, dass mich das Glück erreichen wird, ich habe die Vorbereitungen für etwas gespürt, die innere Unruhe, wie wenn man einen wichtigen Gast erwartet und das Haus herrichtet, alles an seinen Platz stellt, die Möbel abstaubt, die Gläser blank reibt, während aus der Küche der Geruch des besonderen Gerichts dringt, das man bereitet hat. Jetzt ist es Álvaro von der anderen Seite des Tisches im kleinen Büro: Du hättest wenigstens etwas früher Bescheid geben können. Meinst du denn, ich wusste, dass es so enden würde? Eine konfuse Mischung aufgelöster Gefühle in seinen Augen. Ich habe Álvaro beigebracht, das ist jetzt vierzig Jahre her, im Sumpf zu fischen und zu jagen, so wie es mir mein Onkel beigebracht hatte. Mitte der Siebziger: Álvaro ist ein tatkräftiger Mitarbeiter in der Werkstatt, der die anstehenden Aufgaben perfekt erledigt. Trotz des Vater-Gespensts, dasüber unseren Köpfen wacht, kommt es zu einer Art Freundschaft. Ich bin gerade von meiner, wie sich erweisen sollte, letzten Eskapade zurückgekehrt, und er ist immer noch auf dem Posten, wie vor meinem Aufbruch, der treue Sohn meines Vaters. Manchmal schließt er sich mir samstagmorgens an, wir machen gemeinsam Picknick, er lernt mit dem Gewehr umzugehen, bewundert, dass ich so viel über den Sumpf weiß: Da siehst du, Álvaro, die Zeit macht alles kaputt, lässt es verschwinden, was soll ich dir sagen, zwei Brüder, was hätte ich Besseres haben mögen, ich hätte gewollt, dass es zwischen uns besser läuft, und für dich auch, klar, obwohl du dich eigentlich nicht beklagen kannst, eine sichere Arbeit mit wenig Verantwortung, ein Haus, eine Familie. Es tut mir vor allem weh, dass es bei mir nicht anders gelaufen ist; dieses Provisorische, das sich über Jahrzehnte ausdehnt, und wenn es dir bewusst wird, geht das Leben zu Ende, und die Dinge haben sich nie so entwickelt, wie man es sich vorgestellt hat, sie ließen sich nicht unter Kontrolle bringen. Was wäre mir lieber, was wäre mir lieber gewesen. Es sind seine Augen, der Glanz in seinen Augen, den ich im Aufblitzen der Sonne sehe. Deine Augen, Álvaro. Der Vogel wurde kleiner und versank am Himmel zwischen den Sonnenstrahlen. Der Glanz der Augen, ein winziger Funke, der die Pupille aufglänzen lässt, die jetzt ein Pinselstrich Blut umrahmt. Die Pupille schwimmt in diesem rötlichen Nass, genau wie die Sonne, als sie gerade aus dem Meer aufstieg: ein roter Ring, der auf einer Blutlache trieb. Warum wundert es mich, dass Álvaro mich hasst oder mich verachtet, ich liebe meinen Vater ja auch nicht und habe doch das ganze Leben mit ihm verbracht. Álvaro hat mich Dutzende von Male am Wochenende begleitet, an Tagen wie heute, an denen man saubere Winterluft atmet. Wir beide allein unter dem gewaschenen Himmel, zu Fuß durch diesen leuchtenden Raum, in dem das Licht jeden Gegenstand isoliert, seine Körperlichkeit betont, ihn vom Hintergrund abhebt und die ganze Landschaft wie einen Ausschneidebogen wirken lässt: Nach den ersten Herbstregen wird die schwere Luft über demSumpf dünner, und der faulige Geruch nach stehendem Gewässer wird ersetzt durch einen anderen mit pflanzlichen Qualitäten. Frische Pflanzen, eben erst gesprossen. Ein Geruch, den ich auch jetzt wahrnehme, eine stimulierende Kräftigung, die mein Ausschreiten energischer macht, meine Arme schwingen höher, kraftvoller, meine Schritte sind länger und schneller, ich trete fester auf; einen Augenblick lang sehe ich wie ein selbstsicherer Mann aus, der sich das holt, was er will. Ich schreite auf dem Pfad voran: Nur das Säuseln des Schilfrohrs ist zu hören, wenn ich es beiseiteschiebe, das leichte Schnalzen, wenn es meine Schulter trifft oder beim Zurückschnellen gegen meinen Rucksack schlägt, dazu das monotone Schmatzen der Gummistiefel, wenn sich die Sohle von

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