Am Ufer (German Edition)
dem schlammigen Untergrund löst. Das Krächzen eines Raben, das Flattern der Wasserhühner, die fast zwischen meinen Füßen hervorkommen, ich schrecke sie auf und sie mich mit dem Schlagen ihrer Flügel, die knatternd die Luft durchschneiden. Der Hund läuft hypnotisiert dem Geflatter nach, bleibt am Rand des Wassers stehen und dreht den Kopf nach zwei Enten um, die zum Flug starten. Er bellt. Geräusche, bei denen die Luft wie Glas splittert. Das Platschen, wenn ein Tier ins Wasser springt: ein Frosch, eine Kröte, eine Ratte, das Bellen des Hundes, das laut in der Glaskuppel des Himmels widerhallt. Ich gehe und glaube in eine andere Welt einzutauchen, die von anderen Wesen bewohnt und von anderen Gesetzen regiert wird. Wie mein Vater verspüre auch ich auf einmal den Wunsch, für immer hier zu bleiben. Auch ich bin ein seinem Habitat entrissenes Wesen, wenn ich aus diesem Labyrinth herauskomme. Der Hund dreht sich nach mir um, rennt nervös an mir vorbei, trottet dann schwanzwedelnd zurück, schmiegt sich an mein Bein, springt hoch und legt mir die Vorderpfoten auf den Bauch. Ich streichle ihn, kraule seinen Kopf, den Rücken, und Rührung überfällt mich. Unsere Schuld walzt deine Unschuld nieder, mein Hundchen. Der Wind ist eingeschlafen, und die Stille schmerzt mitunter, ein Hinweis auf das nahende große Schweigen, das alles besetzen wird. Anmanchen Wintertagen drückt der Nordwind das Rauschen der Staatstraße 332 oder das noch intensivere der Autobahn ins Sumpfgelände, der ständige Lärm der Autos und Lastwagen, ein Geräusch, das von der winterlichen Himmelskuppel verstärkt wird, während der heiße Sommerdunst es zu schlucken scheint, wie ein Löschpapier oder ein Schwamm Flüssiges aufsaugt. Heute nicht, heute weht kein Wind und kein Lärm dringt herein, alles reglos, kein Atemzug. Du gehst dem willkommenen Messer der Kälte entgegen und spürst seine unbewegte Schneide in dich eindringen. Ich habe den Geländewagen weiter oben geparkt, weil ich den Spaziergang genießen will, doch die Betrachtung der Landschaft und meine Gedanken lenken mich nicht von meinem Ziel ab, ich weiß bereits, wie weit ich morgen mit dem Toyota komme. Ich habe die Breite des halb überwucherten Weges geschätzt, die Festigkeit des Untergrunds, habe festgestellt, dass ich mit dem Wagen bis dorthin komme, wo der Pfad auf Wasser stößt, auf die Ausbuchtung der Lagune, den nierenförmigen Weiher, der sich in den Sommermonaten von dem Rest des sumpfigen Wassersystems abkoppelt; mein Onkel und ich haben ihn jahrelang als Speisekammer gesehen, eine natürliche Fischzucht, die morgen mit Nährstoffen angereichert wird, da kommt zusätzliches Futter auf die Tierchen zu, es wird sie ernähren, dafür allerdings die Quelle vergiften, von der mein Onkel mich trinken gelehrt hat. Gut und Böse wieder einmal durchmischt. Hier habe ich zum ersten Mal den Angelhaken bestückt, die Angelschnur ausgeworfen und zwei winzige Fischchen rausgezogen (ich weiß nicht, von welcher Sorte, vermutlich ein Steinbeißer und eine Schleie), die meine Großmutter an jenem Abend zubereitete. Sie hatte einen Kartoffeleintopf mit Knoblauch, süßem Paprika und einem Lorbeerblatt gekocht. Die zwei sind für den Jungen, der sie geangelt hat. Auf dem Rückweg hatte es zu regnen begonnen, und wir mussten uns in den verfallenen Bau flüchten, wo wir das Fahrrad untergestellt hatten. Als wir sahen, dass der Regen nicht aufhörte und der Himmel immer dunkler wurde, wagte sich mein Onkel mitdem Fahrrad hinaus, ich saß auf der Stange, eingewickelt in ein Gummicape, das auch meinen Kopf bedeckte, der Regen prasselte darauf, und ich saß in dieser Verpackung wie in einem Ofen; vom Körper meines Onkels erreicht mich ein warmer Dunst, ich höre die dicken, immer dichter fallenden Tropfen auf der Gummioberfläche platzen. An solchen herbstlichen Regentagen, aber auch im Winter dringt das Heulen des Meeres bis tief ins Sumpfgelände. Bei Flut füllen die Wellen den Sumpf auf, sie fallen über die Flussmündung und die Entwässerungskanäle ein, und der Spiegel des Sees zerbricht in tausend Stücke, die sich wie Splitter aus flüssigem Metall nervös zusammenballen und wieder auseinanderfahren, dabei ständig ihre Form und Position verändern. Der Marjal wird lebendig, alles ist Bewegung: das Wasser, das Schilfrohr, das Gestrüpp, alles in heftigster Erregung. Ich habe es Dutzende Male gesehen, aber die Erinnerung konzentriert sich auf jenen Nachmittag, als plötzlich der
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