Am Ufer (German Edition)
Himmel dunkel wurde und der Tag in eine fremdartige Nacht kippte, getaucht in ein bleiches Licht, das aus dem Wasser zu quellen schien. Die Blätter, das Röhricht, die grüne Böschung, alles gab Licht ab, das auf die schwarzen Wolkenbänke projiziert wurde: eine Landschaft als Negativ. Mein Onkel führt mich an der Hand durch diese Albtraumlandschaft bis zu dem verfallenen Schuppen, in den er sein Fahrrad eingestellt hat. Ich höre den Lärm des Regens, der auf die Ziegel prasselt, und sehe das Gespensterlicht, ein optischer Effekt auf der dem Eingang nahen Ziegelwand, der diese plötzlich tiefrot glänzen lässt und ihre Unebenheiten hervorhebt. Heute Morgen dagegen herrscht absolute Ruhe, kein Motorengeräusch ist zu hören, keine Stimme bricht die Luft, und das Wasser spiegelt in seiner Stille den Himmel, die Wolken, die ihn überqueren, und die Vegetation am Ufer, unbeweglich verdoppelt das Wasser die veränderliche Landschaft. Während ich hier so laufe, denke ich, dass mir fast alles, was ich kann, von meinem Onkel beigebracht wurde. Das Gewehr zu handhaben, den Köder zu wählen, der einer Meeräsche am besten mundet, mit fauligen Innereien Fallen vorzubereiten, in diealsbald die Krebse einfallen, die Reusen für die Aale auszulegen, ja, selbst alles, was ich vom Schreinern weiß, habe ich von ihm gelernt. Er hat mich fast alles gelehrt, nur nicht diese verzweiflungsvolle Sicht auf die Welt und die Überzeugung, dass es kein menschliches Wesen gibt, das es nicht verdient hätte, als schuldig behandelt zu werden. Das habe ich mit dem Blut meines Vaters geerbt, hat sich mir über seine raue Stimme und seinen harten Blick vermittelt. Wie Leonor sagen sollte: Ein Mann im Krieg, der sich für die Entscheidungsschlacht rüstet. Ja, das hat er mir beigebracht, er, der mir kein Quäntchen der Naivität hat durchgehen lassen, die man braucht, um etwas anzustreben. Ich wurde weder Bildhauer noch Kunsttischler, ein Beruf, bei dem es laut Lexikon um die Verarbeitung edler Hölzer geht, um die Herstellung schlanker Möbel, Schreibtische mit Reliefs im Stil der Renaissance, wie der von meinem Vater und Großvater angefertigte, Schränke mit Akanthus- oder Blütenblättern in den Profilleisten, Bettkopfteile aus Lindenholz mit geschnitzten Mohnblüten oder Intarsienarbeiten, Tischchen mit in Rosenholz eingelegten Lilien oder Art-déco-Mustern in strenger Eiche, in Ebenholz, nichts davon hat je jemand bei mir in Auftrag gegeben, weder hätte ich es machen können, noch hat es mich interessiert. Ich bin nicht mal Schreiner gewesen. Nachdem ich die Kunstakademie aufgegeben hatte (unter Opfern habe ich dir die Chance gegeben, die Germán nicht hatte, sagte er, die Chance, das zu erreichen, was ich nicht erreichen konnte; später erfuhr ich, dass die Sache etwas anders lag, ich ersetzte Germán bei diesem Projekt: Wir haben ihn beide enttäuscht, zusätzliches Holz für seinen Scheiterhaufen). Nie hat mir mein Vater vorgeschlagen, etwas gemeinsam zu bearbeiten, er hat mich auch nicht dazu angeleitet, solche Arbeiten selbständig zu schaffen, ein Möbeltischler zu werden, der den anderen zur Bewunderung und Freude ein paar schöne Stücke hinterlässt, wenn es so weit ist. Ich habe mich auf sein Projekt nicht eingelassen, und er gab mich verloren. Ich gab mich selbst verloren. In seiner Jugend hatte mein Vater durchaus Pläne, Ehrgeiz: Er wolltein seinem Handwerk einige Stufen höher als sein Vater gelangen, ein guter Möbeltischler, dem es, weil er hier und nicht in einer großen Stadt lebte, an Gelegenheiten fehlte, seine Fertigkeiten weiterzuentwickeln, der aber einige Stücke hinterlassen hat, einige der Möbel in diesem Haus, das nie das meine war, und in dem ich noch bis vor Kurzem wie in einem Gasthaus der alten Art gewohnt habe, wo der Wirt die Gäste zurechtweist, wenn sie zu viel Wasser beim Duschen verbrauchen, den Ofen anzünden oder bis spät im Licht der Nachttischlampe lesen.
Mein Onkel verteidigte ihn:
»Ich war ein eher gutwilliger als geschickter Junge, bemühte mich, Gelegenheitsarbeiten für die Nachbarn zu erledigen, die sich noch an die Werkstatt und die Arbeit deines Vaters und Großvaters, denen ich zur Hand gegangen war, erinnerten. Die Leute, die mir in diesen schwierigen Jahren, als ich allein dastand, ohne den Vater und den großen Bruder, Arbeit gaben, erwarteten keine großen Dinge von mir, sie handelten eher aus Solidarität oder Mitleid mit der Familie als in Anerkennung meiner Fähigkeiten. Sie
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