Am Ufer (German Edition)
für mich ist das doch egal. Aus unserer Krise kommt man nicht mehr heraus, und das wissen wir beide. Der Tango: Cuesta abajo. Es geht nur noch bergab. Er war am Ende. Und tat mir sehr leid.«
Bernal:
»Aus eurer Krise? Das hat er tatsächlich gesagt? Ist er etwa siebzig wie du? Vierundvierzig oder fünfundvierzig, wenn ich nicht irre. Er ist wirklich ein Fuchs. Was für eine Gabe, Empathie zu erzeugen. Er hatte dich schon fast eingewickelt. Du und er, zwei Rentner, die letzte Strecke ihres Weges betrachtend. Als wäre er nicht schon längst am nächsten Geschäft dran. Darauf kannst du Gift nehmen. Wahrscheinlich war die Pleite auch bloß ein strategisches Manöver, schließlich haben sie ihm nur den Ramsch gepfändet, das, worauf es ankommt, ist auf Amparo überschrieben.«
Unserem Pedrós gelingt es, dass diejenigen weiter von ihm reden, denen er, soweit ich weiß, nichts schuldet – wie das bei Justino aussieht, weiß ich nicht –, das werden über Monate auch die Zulieferer tun, die er nicht bezahlt hat, jene, die ihn nicht leiden konnten und sich freuen, ihn untergehen zu sehen, die Angestellten, die er entlassen hat, und deren geschädigte Familien; diejenigen, die ein halbes Leben dafür gegeben hätten, von ihm auf die Jacht eingeladen zu werden. Das ist der dauerhafte Teil seines Ruhms. Besser als nichts. Ich bemühe mich, nicht über ihn zu reden, denke aber den ganzen Tag an ihn, ich trage zwar nicht dazu bei, seinen Ruhm zu erhalten, aber ich nähre die Erinnerung. Es reden diejenige, die ein Vermögen ausgegeben hätten, um ihn untergehen zu sehen, und jene, darunter ich, die ein Vermögen ausgegeben haben, damit er uns untergehen sieht. Während ich ihnen zuhöre, wie sie über den Sturz von Tomás reden, und den letzten Schluck Bier trinke, denkeich, dass ich heute Nacht wenigstens ein paar Stunden werde schlafen können. Der Alkohol bekommt mir in letzter Zeit gut. Ich schaue auf die Uhr, Justino bemerkt es. Er sagt: Acht vorbei, Esteban, du musst nach der Kolumbianerin schauen. Das Spiel über habe ich einen Carajillo und zwei Gläser Punsch getrunken. Danach sind wir vom Tisch an den Tresen gegangen, und dort habe ich drei Drittel Bier (oder waren es vier?) getrunken, mehr oder weniger das, was ich jeden Abend trinke. Ich weiß nicht, ob dieses balsamische Gefühl, mit dem man aus der Bar geht, von der Partie her kommt oder vom Alkohol, den du dabei trinkst: Du kommst aus der Bar, eingepackt in eine weiche Wattewolke. Ich überlege, ob ich Francisco sage, dass wir uns noch einen Gin Tonic genehmigen sollten, aus einer dieser Flaschen, die der Kellner speziell für ihn bereithält, Bombay Sapphire oder Citadelle.
Früh am Morgen, bevor ich mich auf den Weg machte, habe ich den Käfig mit dem Distelfinken auf die Terrasse gebracht und das Türchen aufgemacht. Der Vogel hat eine kurze Zeit gezögert: Zunächst streckte er nur das Köpfchen vor und schlug ein paar Mal mit den Flügeln, als wolle er losfliegen, dann aber drehte er sich um und ging zurück in den Käfig, begann in dem Fressschälchen zu picken; nach einer Weile begab er sich mit kleinen Sprüngen zur Tür, und diesmal hielt er kaum inne vor einem kurzen Flug, der ihn bis zum Geländer brachte. Dort zauderte er ein paar Sekunden. Nervös wendete er den Kopf ruckartig von einer Seite zur anderen, drehte sich um. Es sah so aus, als wolle er zurück in den Käfig, wohin er schnelle Blicke warf, in dem er ein ums andere Mal das Köpfchen bewegte, als sei es mit dem Körper durch eine weiche, unkontrollierte Feder verbunden. Doch diesmal erhob er sich zum Flug, glitt durch den leichten morgendlichen Dunstschleier, der das Licht mattierte, und wurde immer kleiner, bis er im Blau des Himmels verschwamm. Mir wurden die Augen feucht, als ich ihn aus dem Blick verlor, ein verworrenes Gefühl: Ich fand es wunderschön, ihnso frei fliegen zu sehen, und war sehr traurig, ihn zu verlieren. Außer dem musste ich schlucken in Gedanken daran, dass auch er nicht der Katastrophe entgehen würde. Er ist es nicht gewohnt, sich die Nahrung selbst zu suchen, sich gegen die kleinen Feinde in der Umgebung zu wehren, es wird für ihn schwierig werden, in Freiheit zu überleben. Dennoch war es wunderbar, ihn fortfliegen zu sehen, wie er in diesen klaren Winterhimmel eintauchte: der leichte Dunstschleier des Morgens, die Präzision des Vogelflugs, das zerbrechliche Licht der aufgehenden Sonne, die mit weichem Gold das Blau beschlug. Das Ensemble vermittelte
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