Am Ufer (German Edition)
schöpft Kraft aus der Schwäche und erschnuppert den Augenblick, um die Schuld des Angeklagten zu verdünnen – man weiß ja nie, mit wem man spricht; bestimmtist ihm aufgefallen, dass ich den ganzen Abend nur zur Verteidigung von Pedrós den Mund aufgemacht habe, was ihn misstrauisch macht. Sicher weiß er das von unserer Partnerschaft. Das mit den Türen und Fenstern weiß er sowieso. Und das andere, meine Pleite, muss er wissen, wie auch nicht, wo es jedermann weiß. Im Übrigen hat er einen direkten Zugang zu vertraulichen Informationen aus dem Hause Pedrós, nicht über ihn, sondern durch sie, durch Amparo, die er – seine ewige Strategie – vor den anderen schlechtmacht, nur um das zu verbergen, was zwischen ihnen ist; und es ist durchaus möglich, dass da auch Eifersucht mitspielt, schließlich ist Amparo mit ihrem Mann verschwunden, ist nicht dageblieben, um auf Justino zu warten, und das trotz der angenommenen Gütertrennung. Es hieß schon immer, dass sie etwas miteinander hatten oder noch haben, dass einige ihrer Abwesenheiten sich mit seinen Geschäftsreisen überschneiden. In diesem Moment nimmt das Gespräch – vielleicht nur aus Gründen der Prävention – einen anderen Ton an. Justino sagt:
»Ich kenne Tomás ziemlich gut. Er hat Geld ausgegeben, weil er welches hatte, aber vor allem, weil es sich für seine Geschäfte auszahlte. Für jeden Euro, den er hinauswarf, hat er zehn eingesackt. Sagen wir mal so, er hat mit dem Geld Öffentlichkeitsarbeit gemacht; so hat er sich sein Leben zurechtgezimmert, hat die Nase in fremde Geschäfte gesteckt und die Millionäre in seine Geschäfte hin eingezogen. Warum lud er denn eine Legion von alten Knackern auf seine Jacht ein? Um ihnen Geld aus der Nase zu ziehen. Pensionäre, die sich die Küste für ihre letzten Lebensjahre ausgesucht hatten. Deutsche, Franzosen (die Engländer hier haben keine Jachten, graue
working class
), um die sich keiner kümmert. Sie langweilen sich wie die Austern und sind traurig, weil sie jetzt im Alter auf grausame Weise lernen, dass Geld nicht glücklich macht (als wäre das Alter etwas anderes als ein blöder Epilog und hätte irgendetwas mit dem eigentlichen Leben zu tun). Er segelt sie spazieren, legt sie in eine Hängematte an Deck des Schiffes, auf offenem Meer stellt erihnen sodann ein Tellerchen mit Thunfischrogen hin, ein paar gebackene Mandeln, die sie mit ihren weißen, künstlichen Gebissen kauen, ein Gläschen Wein (das kann keinem schaden, wird sogar von Kardiologen, Rheumatologen, Endokrinologen empfohlen), er sorgt sich darum, dass sie sich wohlfühlen, gut versorgt, er hört ihnen interessiert zu, wenn sie ihm von Problemen mit Kindern, Enkeln und Schwiegertöchtern erzählen, und allein durchs Zuhören wird er zum Idealbild eines Sohnes, Enkels, einer Schwiegertochter, sie adoptieren ihn als den Sohn, den sie gern gehabt hätten, sie nehmen ihn an Kindesstatt an (welches Kind kümmert sich so um sie?), verwöhnen ihn, wie sie gerne ihren Enkel verwöhnen würden, lieben ihn, wie sie die Schwiegertochter lieben würden, wenn die so wäre, wie sie sein sollte, so eine, bei der man sich des Nachts erotische Träume erlauben könnte. Er bringt ihnen ein Verständnis entgegen und eine Vertraulichkeit, die sie ach so gerne bei ihrer Frau erleben würden. Das Problem ist nur, dass jetzt die Krise da ist und Pedrós das Schiff kaum enttäut, weil er kein Benzin mehr hat. Die Banken geben keine Kredite (sie sind eher bereit, welche zu bekommen, ja, sie bekommen Kredite), um die Jacht unter dem blauen Mittelmeerhimmel in Fahrt zu bekommen, und ein Wochenendausflug mit dem Schiff kostet ein Vermögen bei den derzeitigen Brennstoffpreisen, also hat er, als es darum ging, den Hals aus der Schlinge zu ziehen, seine Netze nicht einmal im Fanggrund der Alten auswerfen können, die ihn allerdings auch nicht gerettet hätten, denn das eine ist, ihnen diskret Trinkgelder herauszuleiern, für einen kleinen Anschub, den man gerade nötig hat, und etwas ganz anderes, zu einem von denen hinzugehen und ihm ins Gesicht zu sagen: Herr Müller, ich brauche achthundertfünfzigtausend Euro. Für das Kind, das uns die Zeit vertreibt, Kleingeld lockerzumachen (eine Empfehlung für einen Bauwilligen, ein Darlehen von achtoder zehntausend Euro, das dann nicht rückgezahlt werden muss, eine Kiste Moselwein, unter Umständen sogar eine Patek Philippe zum Geburtstag) ist etwas ganz anderes, als in die Brieftasche zu langen,um echtes Geld
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