Am Ufer (German Edition)
nachfolgenden Ausgrenzung erstarrt. Zeit genug, um es zu entstellen, zu verderben. Wie die Fische oder der menschliche Leib, so sterben auch die Hoffnungen und stinken dann, verpesten die Umwelt. Mein Onkel war noch in der Pubertät gewesen, zwei verschreckt blickende Augen, durch die diese düsteren Bilder in ihn eindrangen. Mein Vater hat sich nie über die Ausgrenzung beschwert, dazu war er zu stolz. Auf den Gedanken, dass er seine Ansprüche aufgegeben hatte, ist er nie gekommen (wir leben nicht davon, andere auszubeuten, sondern von unserer Arbeit: dieser Satz rettete ihn), aber er hat uns für die ihm gesetzten Grenzen verantwortlich gemacht. Zersetzte, vergorene Ideale, auch hier Verdacht auf Verwesung: Gerechtigkeit eher als Strafe denn als Balsam. Er gab vor, über allem zu stehen, lauerte geduckt darauf, dass die schwierigen Zeiten vorübergingen, als könne sich sein eigenes Leben im Schwebezustand halten; die Anstrengung, die er aufbringen musste, um das selbst zu glauben, geriet ihm zur kräftigenden Nährlösung, auf dass ihn die Außenwelt nicht zerbreche. Das glaubte er. Doch er war schon gebrochen, hatte eine Deformation, so etwas wie einen monströsen Leistenbruch. Aber man darf nicht das Maß an Energie geringschätzen, das vonnötenist, sich selbst eine Lüge zu erzählen und dazu dauerhaft zu stehen. Er hat das geschafft. Er hatte diese Beständigkeit, diese Willenskraft. Seit seiner Entlassung aus dem Gefängnis war ihm nach und nach ein Panzer gewachsen, auf den die Außenwelt vergeblich trat. Der Panzer hat ihn geschützt, gab seinen Idealen Obdach (Álvaros Vater war der Einzige, der mir geholfen hat, als ich aus dem Gefängnis kam, Álvaro ist wie ein Sohn für mich, der Sohn meines besten Freundes; mir gegenüber sagte er nicht Genosse, er wusste, dass dieses Wort in meinen Ohren seinen Wert einbüßte), und sicher hat er sie bis zum Schluss bewahrt, aber so wie einen Wein, der im Fass einen Stich bekommt. Ich sage, er hat sich abgeschottet, aber das stimmt nicht, er hatte die Antennen immer auf ein mehr oder weniger fernes Außen gerichtet: Er lebte nicht außerhalb der Welt, sondern gegen die Welt, und in ihr waren seine Frau und seine Kinder eingeschlossen, die er, wie ich annehme, unglücklich gemacht hat, wenn denn überhaupt jemand einem anderen Glück oder Unglück bescheren kann.
Gestern, wie jeden Abend, bin ich runter zur Bar gegangen, um eine Partie zu spielen. Erst Domino und dann die Revanche mit einem Kartenspielchen. Wir spielen als Partner, Justino – gelegentlich auch Partner von Pedrós – und ich, der Geschäftspartner von Pedrós, dem dieser einen Stein an den Hals gebunden hat, so wie es einst der Vater von Bernal – der heute mit Francisco zusammen spielt – es mit den Leichen zu tun pflegte, die er in den Kanal von Ibiza warf. Nach dem Domino – das Verliererpaar zahlt den Kaffee – spielten wir ein paar Partien Tute um den Wein, und just da sagte Justino, dass es bei Pedrós’ Firmen, der Eisenwarenhandlung, dem Geschäft für Haushaltsgeräte und den Büros, eine Intervention gegeben habe.
»Intervention? So wie bei den Banken oder den EU–Staaten? Was soll das bedeuten? Haben sie ihm die schwarzen Männer geschickt?«, fragt Francisco.
Darauf Justino: Man hat ihm die Lieferwagen und die Laster abgeschleppt; die Materialien im Bauladen konfisziert, sie haben ihm die Läden geschlossen und versiegelt, sogar die Schneidbrenner haben sie beschlagnahmt. Und sie haben ihm einen Baustopp verordnet und die Baustellen abgeriegelt. Offensichtlich ist er aus Olba verschwunden, er hat sich in Luft aufgelöst, keiner weiß, wo er ist. Die Gläubiger sind auf der Suche. Da hat so mancher geschworen, ihn fertigzumachen, und ich nehme an, dass sich eine Reihe von Geschädigten zusammengetan hat, um ein paar mafiöse Moldawier oder Ukrainer zu bezahlen, die bereit sind, den gesamten Planeten abzusuchen, bis sie Pedrós haben.
»Mann, Justino, du gibst dich aber europäisch. Das mit der Intervention gilt für den gemeinsamen Markt gegenüber den PIGS. Das mit Pedrós heißt seit jeher, hier wie in China, Pfändung. Du meinst, er ist pleite, dass sie ihn gepfändet haben«, rückt Francisco das Ganze zurecht. »Das wusste ich schon, wir wissen es alle, oder etwa nicht?«
Ich wartete schon seit Tagen darauf, dass das Thema aufgebracht und ich damit angesprochen sein würde. Aber bis heute nichts als Schweigen. Auch jetzt fragt mich keiner, ob mich die Pleite von Pedrós
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