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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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bei den Zigeunerinnen an der Ecke kaufen. So etwas erwarten die Schweinehunde. Sie haben es nicht eilig damit, den Gefangenen, den sie schon im Voraus verurteilt haben, zum Singen zu bringen. Aber – alt an Jahren hat viel erfahren – mit der Zeit habe ich es gelernt, mich bei Verhören gut zu schlagen, schon der Klassiker sagt ja, ein Nein, das dich rettet, ist nicht weit vom Ja, das dich verdammt – ungefähr so; ich werfe den drei Spielern einen raschen Blick zu, und die drei schauen unbewegt auf den Kartenfächer in ihrer Hand. Du kommst heute spät, Esteban, sagt Francisco. Wir haben inzwischen einen Tute angefangen, um die Zeit totzuschlagen. Und Justino: Komm her, wir beenden das Spiel und beginnen mitdem Domino. Alle kennen die Nachricht, das mit Pedrós ist vor zwei Wochen rausgekommen, heute allerdings erreicht den Spieltisch die Nachricht von seinem Verschwinden; und das Schild habe ich vor fast zwei Monaten an die Werkstatt gehängt. Die Plomben wurden vor zehn Tagen angebracht. Aber hier geht es darum, die Einzelheiten zu genießen, die Apfelsine nicht wegzuwerfen, bevor man gewissenhaft allen Saft ausgepresst hat. Ich spüre, wie sie mich leicht mit den Fingern drücken, mal sehen, ob die ersten Tropfen herausdringen. Sie wissen, sie haben noch Zeit genug, stark zu drücken, ordentlich zu melken oder mich in den Elektrowolf zu stecken. Keine Hast, nicht drängeln. Wie Francisco gesagt hat, hier wie in China heißt das Pfändung (und die Pfändung ist nur das Vorspiel, das man am leichtesten beichten kann). Jede Banderilla, die sie Pedrós setzen, wird heute Abend am Ende mir im Rücken schmerzen. Ich bin der eigentliche Adressat. Eine Rückenmarksanästhesie, das wär’s: Ich schließe die Augen. Fertig. Der Stich tut weh, aber danach bist du sediert, ruhig. Sollen sie doch sagen, was sie wollen. Die Geburt kann beginnen. Komme, was da wolle. Francisco lächelt, als er das Wort Pfändung sagt. Er steht drüber: Was ihn nicht betrifft, nimmt er auf die leichte Schulter. Und tatsächlich betrifft ihn nichts, was für uns wichtig sein könnte. Das sagt Justino, der es Francisco neidet, dass er ihm die Starrolle abgenommen hat, die er selbst so viele Jahre gespielt hat. Francisco kommt in die Bar, um sich Notizen zu machen, Lokalkolorit zu tanken, mit dem er seinen Büchern Authentizität gibt, Pinselstriche fürs Genrebild, Redewendungen, Gesten, Farbigkeit, Ambiente. Er studiert unsere Essens- und Trinkgewohnheiten, die einst die seinen waren, unsere Gepflogenheiten und Traditionen. Er betreibt Ethnologie mit uns, er fragt uns, zu welchem Zeitpunkt der Zubereitung unsere Mutter Paprika zur
all-i-pebre
-Sauce für den Aal getan hat, ob es sich empfiehlt, den Reis für die Paella anzurösten, ob es einen besonderen Namen für die geflochtenen Kiepen oder die Weidenkörbe – ich weiß es selbst nicht mehr – gibt, in denen die Muskatellertraube geerntetwurde. Mein Freund Francisco: Er muss es selbst wissen. Seine Familie besaß einen Weinberg und sogar Anteile an der Mosterei. Er hätte seinen Vater fragen können, nicht nur nach den Körben, sondern auch danach, wie die Familie zu dem Weinberg und den Anteilen an der Mosterei gekommen ist. Er hätte herausfinden können, was aus den Besitzern aus Vorkriegszeiten geworden ist. Um diese Episode aus dem Leben unserer Gemeinde zu rekonstruieren, hätte er nur seinen Vater mit dem Vater des hier anwesenden Bernal zusammenbringen müssen und sie plaudern lassen. Da kommt ein Kochbuch
mar y montaña
zusammen, wie die auf Meer- und Berg-Ingredienzien spezialisierten Köche sagen, die er zu frequentieren pflegte und die er vielleicht immer noch frequentiert, wenn er aus Olba verschwindet. Sein Vater: die Zutat der Berge. Der von Bernal: die des Meeres. Jammerschade, das Versäumte. Sie nicht auf eine lange Sitzung zusammengebracht, ihnen keinen Kaffee und keinen Wein hingestellt und sie nicht zum Sprechen gebracht zu haben, auf dass sie die Anekdoten aus jenen alten Zeiten austauschen. Das wäre tatsächlich Ethnologie im Reinzustand gewesen. Beide sind seit geraumer Zeit verstorben. Für Francisco ist das abendliche Treffen in der Bar Castañer eine Anekdote, während für uns die Bar und all das hier ein unentbehrlicher Teil unseres Lebens ist, gewesen ist. Für ihn eine exotische Landschaft – und wir gehören anthropologisch gesehen zu seinen traurigen Tropen, Figuren aus einem Genrebild: Er betrachtet uns, wie die Anthropologen ein Zeltdorf betrachten,

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