Am Ufer (German Edition)
eine Düne in der Wüste, die Pyramide, den Mohren mit Turban und das Kamel; den amazonischen Urwald und seine bäuchigen Ureinwohner im Lendenschurz, oder den Kannibalen, der den Knochen des verspeisten Missionars quer durch die Nase oder als Haarschmuck trägt. Auch für mich war die Bar Castañer eine Zeit lang nicht mehr die einzige Zuflucht, ich wollte das Zeltdorf für immer verlassen, vielleicht wie er irgendwann zurückkehren, als Gelehrter mit Fotoapparat, Schmetterlingsnetz und Tonband. Als ich zurückkam, war ich davon überzeugt, dass meineHeimkehr nur provisorisch sein würde. Ich wollte Kraft vor dem großen Sprung schöpfen, doch stattdessen habe ich es mir auf einer weichen Fleischmatratze bequem gemacht, und aus dem Provisorium wurde Dauerhaftes. Nachdem die Matratze mir abhandenkam, musste ich viele Jahre lang auf dem Boden schlafen. So etwas kommt vor, es passiert vielen Leuten: Man glaubt, in einer vorübergehenden Situation zu leben, dabei lebt man einfach nur sein Leben, das, was einem zugefallen ist, oder das, was man sich ausgesucht hat: Olba, bis zum letzten Atemzug.
Im Laufe all der Jahre habe ich es mehrmals verlassen und bin mehrmals zurückgekehrt, nicht das Zeltdorf, sondern das Lokal, es hat Phasen gegeben, in denen ich die Bar nicht betreten habe, nach einer gewissen Zeit jedoch bin ich dann immer auf ein Spielchen zurückgekehrt, eine aufregende tägliche Reise, die mich gegen Abend von der Isolation in der Schreinerei erlöst, von der Calle San Ramón, wo ich ja auch wohne, durch die Calle del Carmen, dann Calle de la Paz, Paseo de la Constitución (früher General Mola), und schon bin ich da, wie an so vielen Abenden in so vielen Jahren, in der Bar Castañer, dem Unterschlupf. Der schützende Schleier des Tabakrauchs, der heute, wie die Damen von einst, verschwunden ist. Jetzt kann man drinnen nicht mehr rauchen. Obwohl nach inzwischen vielen Monaten der Prohibition der Geruch des Nikotins verflogen ist, der Wände und Tische imprägnierte, sind doch an dere Bestandteile des Duftstoffs, der mich einlullt, geblieben: der Geruch von Frittieröl, von feuchter Wolle, nach Blaumann und Unterhemd mit Hosenträgern, beide verschwitzt, der Geruch von schalem Bier und saurem Wein. Diese Gerüche erlauben mir, mein Nest wiederzuerkennen, mich darin zurückzulehnen und die Karten zu mischen. In letzter Zeit habe ich mir angewöhnt, jeden Abend herzukommen. Dies alles hinter sich zu lassen war der Wunsch eines hirnlosen jungen Mannes, der am Ende doch hier blieb und sich mittlerweile in einen hinfälligen Alten verwandelt hat, ohne die Zeit der Reife durchlaufen zu haben, ich glaube, ich habe mich derReife, dem Älterwerden verweigert, indem ich mich einfach gehenließ, ich war auf den Geschmack gekommen, die Dinge werden sich schon von allein regeln, kommt Zeit, kommt Rat. Das Ergebnis: Ich würze mein Alter mit der Pfändung, ein aufregender Engpass, der den letzten Schluck wie Angostura abtönt. Ich werde mich verabschieden, bevor sie das Übel beim Namen nennen (denn erkannt haben sie es schon, ein ansteckendes Übel, das man in Schach halten muss), bevor sie mir irgendwann das Glöckchen des Leprakranken um den Hals hängen. Ihnen entwischen, wenn sie schon das Holz für den Scheiterhaufen aufgeschichtet, die Waffen entsichert haben; keine Beute, die sie ins Visier nehmen könnten. Sie sollen auf die Fresse fliegen. Endlich bin ich bereit für den Abschied: verbranntes Öl Kaffee Bier Anislikör Wein und feuchte Wolle. Abschied von dem mit Kippen überfüllten Aschenbecher, den sie vor den Eingang gestellt haben und den wir Raucher dann und wann aufsuchen, um uns die Beine zu vertreten oder mit einem Zigarettchen zwischen den Lippen einen Zug sauberer Winterluft einzuatmen.
Doch nun spricht Justino:
»Jetzt braucht er nicht mehr Geld für die Rundfunkreklame ausgeben oder beim Fußballspiel in der Loge erscheinen, oder die Abendessen mit dem Vorstand und den Spielern präsidieren, den lebendigen Kräften, die den großzügigen Erbauer der neuen Umkleideräume samt Duschen und Warmwasser ehren, den Mann, der unserer Stadt die Stufensitze in der Südkurve geschenkt hat. Derzeit übernehmen die Gläubiger die Werbekampagne kostenlos für ihn. Er wollte doch nichts lieber, als dass man über ihn redet, das hat er geschafft, schließlich hat er eine Menge Leute hängen lassen: Lieferanten, Kunden, da ist das Baumaterial, das er sich hat zahlen lassen, aber nicht geliefert hat, hoffnungsfrohe
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