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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo
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dort unten am Fluß.«
    »Und was hat das mit der Liebe zu tun?«
    »Dieser Brunnen hat Menschen mit ihren Hoffnungen, ihren Träumen und ihren Konflikten hierhergeführt. Jemand hat es gewagt, das Wasser zu suchen, das Wasser hat sich gezeigt, und sie fanden sich um dieses Wasser herum zusammen. Ich denke, wenn wir mutig die Liebe suchen, zeigt sie sich, und am Ende ziehen wir noch mehr Liebe an. Wenn uns ein Mensch liebt, lieben uns alle. Sind wir jedoch allein, werden wir immer einsamer. Das Leben ist schon merkwürdig.«
    »Haben Sie schon einmal von einem Buch mit dem Titel I Ging gehört?« fragte ich.
    »Noch nie.«
    »Da heißt es, daß man eine Stadt versetzen kann, aber keinen Brunnen. Die Liebenden treffen sich am Brunnen, stillen dort ihren Durst, bauen dort ihre Häuser, ziehen dort ihre Kinder auf. Doch wenn einer von ihnen beschließt zu gehen, kann der Brunnen ihm nicht folgen. Die Liebe bleibt dort verlassen zurück – obwohl der Brunnen immer noch mit demselben reinen Wasser gefüllt ist.«
    »Sie reden wie eine Alte, die schon viel gelitten hat, mein Kind«, sagte sie.
    »Nein, ich hatte immer nur Angst. Ich habe nie den Brunnen gegraben. Jetzt tue ich es, doch ich sehe auch die Gefahren.«
    Ich spürte einen sperrigen Gegenstand in der Hosentasche. Als ich nachfühlte, wich mir das Blut aus dem Herzen. Schnell trank ich meinen Kaffee aus.
    Es war der Schlüssel. Ich hatte den Schlüssel.
    »Hier in der Stadt ist doch kürzlich eine Frau gestorben, die alles dem Priesterseminar in Tarbes vermacht hat«, sagte ich. »Wissen Sie, wo ihr Haus steht?«
    Die Frau öffnete die Tür und zeigte es mir. Es war eines der mittelalterlichen Häuser am kleinen Platz, das nach hinten zum Tal und zu den Bergen hinausging.
    »Zwei Pater waren fast zwei Monate dort«, sagte sie. »Und…«
    Sie sah mich nachdenklich an.
    »Und einer sah Ihrem Mann ähnlich«, sagte sie nach einer langen Pause.
    »Er war es«, sagte ich, während ich hinausging, und war hoch zufrieden, weil ich zugelassen hatte, daß sich das Kind in mir einen kleinen Streich erlaubte.
    Ich blieb unschlüssig vor dem Haus stehen. Nebel hüllte alles ein, und mir war, als träte ich in einen grauen Traum ein, in dem seltsame Figuren auftauchen, die uns an noch seltsamere Orte führen.
    Meine Finger betasteten nervös den Schlüssel.
    Bei diesem Nebel könnte ich unmöglich vom Fenster aus die Berge sehen. Das Haus würde düster sein ohne die Sonne in den Vorhängen. Das Haus würde ohne ihn traurig wirken.
    Ich sah auf die Uhr. Es war neun.
    Ich mußte irgend etwas tun, irgend etwas, was die Zeit schneller vergehen ließ, mir das Warten verkürzte.
    Warten. Das war die erste Lektion über die Liebe, die ich gelernt hatte. Der Tag zieht sich endlos dahin, man macht tausend Pläne, stellt sich vor, was man ihm später sagen wird, verspricht sich selbst, anders zu werden – und man erwartet unruhig und sehnsüchtig den Liebsten.
    Ist er da, weiß man nicht mehr, was man sagen wollte. In diesen Stunden des Wartens baut sich Anspannung auf, die zu Angst wird, und die Angst führt dazu, daß wir uns schämen, unsere Gefühle zu zeigen.
    ›Ich weiß nicht, ob ich dort hineingehen soll.‹ Mir fiel das Gespräch vom Vortag wieder ein – dieses Haus war das Symbol eines Traumes.
    Doch ich konnte nicht den ganzen Tag lang dort stehenbleiben. Ich nahm all meinen Mut zusammen, zog den Schlüssel aus der Tasche und ging auf die Tür zu. »Pilar!«
    Die Stimme mit starkem französischem Akzent kam aus dem Nebel. Ich war eher überrascht als erschreckt. Es könnte der Besitzer des Hauses sein, bei dem wir ein Zimmer gemietet hatten – aber ich konnte mich nicht daran erinnern, ihm meinen Namen genannt zu haben.
    »Pilar!« erklang die Stimme, diesmal etwas näher.
    Ich blickte auf den im Nebel liegenden Platz.
    Eine Gestalt näherte sich schnellen Schrittes. Der Alptraum des Nebels mit seinen seltsamen Wesen wurde Wirklichkeit.
    »Warten Sie«, sagte die Gestalt. »Ich muß mit Ihnen reden.«
    Als sie näher kam, sah ich, daß es ein Pater war. Er wirkte wie eine dieser Karikaturen eines Provinzpaters: klein, dicklich, ein paar weiße Haare auf dem fast kahlen Schädel.
    »Hallo«, sagte er und streckte mir mit einem breiten Lächeln seine Hand hin.
    Ich war sprachlos und konnte nur nicken.
    »Schade, daß der Nebel alles einhüllt«, sagte er mit einem Blick auf das Haus. »Saint-Savin liegt auf einem Berg, und die Aussicht von diesem Haus aus ist

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