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Am Ufer

Am Ufer

Titel: Am Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paulo
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symbolische Geste ist. Begreif doch, daß ich in mir sehr viel wichtigere Dinge zerbrochen habe als ein Glas, und ich bin froh darüber. Sieh doch, wie du mit dir kämpfst, und zerbrich das Glas.
    Unsere Eltern bringen uns nicht nur bei, mit Gläsern vorsichtig umzugehen, sondern auch mit unseren Körpern. Sie haben uns gepredigt, daß Jugendlieben unmöglich sind, daß wir Männer dem Priesterleben nicht abspenstig machen sollen, daß Menschen keine Wunder tun und niemand auf eine Reise geht, ohne zu wissen, wohin.
    Zerbrich bitte dieses Glas, und befrei uns damit von all diesen verdammten Vorurteilen, dieser Manie, man müsse alles erklären und nur das tun, was die anderen gutheißen.
    »Zerbrich dieses Glas«, bat ich abermals.
    Er blickte mir fest in die Augen. Dann fuhr er mit der Hand über die Tischplatte, bis er es berührte. Mit einer raschen Bewegung stieß er es hinunter.
    Das Klirren des zersplitternden Glases ließ alle aufhorchen. Anstatt sich zu entschuldigen, sah er mich lächelnd an – und ich lächelte zurück.
    »Macht nichts«, rief der junge Kellner, der woanders bediente.
    Doch er hörte nicht hin. Er war aufgestanden, hatte mich bei den Haaren gepackt und küßte mich.
    Ich packte ihn auch bei den Haaren, drückte ihn an mich, biß seine Lippen, fühlte, wie seine Zunge sich in meinem Mund bewegte. Auf diesen Kuß hatte ich lange gewartet – er war an den Flüssen unserer Kindheit entstanden, als wir noch nicht wußten, was Liebe bedeutete. Auf den Kuß, der in der Luft lag, als wir älter wurden, der mit der Erinnerung an eine Medaille um die Welt reiste, der zwischen den Stapeln von Lehrbüchern für ein Staatsamt verlorenging. Auf einen Kuß, der so viele Male verlorenging und niemals wiedergefunden wurde. In dieser Minute, die der Kuß dauerte, lagen Jahre der Suche, der Enttäuschungen und unerfüllbarer Träume.
    Ich küßte ihn so heftig wie er mich. Die wenigen Leute in der Bar werden geguckt und gedacht haben, daß sie nur einen Kuß sahen. Sie wußten nicht, daß in diesem Kuß mein ganzes Leben und sein ganzes Leben lag, das Leben alle jener, die warteten, träumten und unter der Sonne ihren Weg suchten.
    In diesem Kuß lag alle Freude, die ich je erlebt hatte.
    Er entkleidete mich und drang kräftig, voller Angst und Begehren, in mich ein. Ich spürte einen leichten Schmerz, doch das war unwichtig. Ebenso unwichtig wie meine eigene Lust in diesem Augenblick. Ich strich über seinen Kopf, hörte sein Stöhnen und dankte Gott dafür, daß er da war, in mir, und mir das Gefühl gab, es wäre das erste Mal.
    Wir liebten uns die ganze Nacht – und die Liebe vermischte sich mit Schlaf und Träumen. Ich fühlte ihn in mir und umarmte ihn, um mich zu versichern, daß dies alles wirklich geschah, damit er nicht plötzlich davonging wie die umherziehenden Ritter, die einst die Burg bewohnt hatten, die nun unser Hotel war. Die stillen Steinwände schienen Geschichten von wartenden Edelfräulein zu erzählen, von vergossenen Tränen und endlosen Tagen am Fenster, wo sie, nach einem Zeichen oder einer Hoffnung spähend, zum Horizont blickten.
    Das würde ich nie durchmachen, versprach ich mir. Ich würde ihn nie wieder verlieren. Er würde immer bei mir sein – denn ich hatte die Stimmen des Heiligen Geistes gehört, während ich ein Kruzifix über einem Altar angeschaut hatte, und sie hatten mir gesagt, es sei keine Sünde.
    Ich würde seine Gefährtin sein, und gemeinsam würden wir die Welt herausfordern, die wieder neu geschaffen werden sollte. Wir würden von der Großen Mutter sprechen, an der Seite des Erzengels Michaels kämpfen, wir würden gemeinsam die Qual und die Ekstase der Pioniere erleben. Das hatten mir die Stimmen gesagt – und ich hatte den Glauben wiedergefunden und wußte, daß sie die Wahrheit sagten.

Donnerstag, 9. Dezember 1993
    Als ich aufwachte, lag sein Arm über meinen Brüsten. Es war bereits Tag, und die Glocken einer nahe gelegenen Kirche läuteten.
    Er küßte mich. Seine Hände liebkosten abermals meinen Körper.
    »Wir müssen aufbrechen«, sagte er. »Heute sind die Feiertage zu Ende, es wird ziemlich viel Verkehr geben.«
    »Ich will nicht nach Saragossa«, antwortete ich. »Ich möchte dahin gehen, wo du hingehst. Die Banken öffnen gleich, ich kann mit meiner Karte Geld ziehen und mir Kleider kaufen.«
    »Du hast gesagt, du hast nicht viel Geld.«
    »Es wird schon irgendwie gehen. Ich muß gnadenlos mit meiner Vergangenheit brechen. Kehre ich nach

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