Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
sogar noch besser von Pflanzen ernähren, von Gemüse zum Beispiel.«
Jakob blickte auf die Alufolien mit den Zucchini und Paprika, er hat seine Portion schon fast aufgegessen.
»Schmeckt sogar ziemlich gut.«
Sie lachte. »Wenn du also überlegst, welches Interesse mehr zählt, dein Interesse, ein Tier zu essen, obwohl du genauso gut oder sogar noch besser Pflanzen essen kannst, und das eindeutige Interesse des Tieres, nicht zu sterben – zu welchem Schluss kommst du dann?«
»Ist schon klar – wenn man es so sieht, ist das Interesse des Tieres zu leben höher zu bewerten. Ehrlich gesagt: Ich hab es jedoch noch nie so gesehen.«
»Wie kann man es anders sehen?« Sie musterte ihn.
Jakob sagte nichts, aber in den folgenden beiden Tagen dachte er über die Frage nach und kam zu dem Schluss, dass Laura recht hatte. Außerdem verstand er, warum die Schüler der Parallelklasse sie »die Philosophin« nannten.
»Ich esse kein Fleisch mehr«, verkündete er noch am selben Abend seiner Mutter und schob sein Steak an den Rand des Tellers.
Hildegard sah ihren Sohn erstaunt an. »Was ist denn das schon wieder für eine neue Marotte?«
»Keine Marotte. Neue Erkenntnis.«
Und jetzt sitzen sie hier. Gefangen von dämlichen Rockern.
Gegen Mittag essen sie das restliche Brot.
»Meinst du, die lassen uns heute noch laufen?«, fragt Cem.
Jakob zuckt mit den Achseln.
Auch Laura sieht ihn fragend an.
24. Stuttgart, Polizeipräsidium, vormittags
»Seit drei Tagen haben Sie Ihren Sohn also nicht mehr gesehen?«, fragt der Polizist.
Hildegard nickt.
»Er ist mit Freunden in Urlaub gefahren«, sagt Dengler. »Nach Barcelona.«
»Halt du dich da jetzt mal raus«, faucht Hildegard ihn an.
Dengler hebt die Hände und lässt sie wieder fallen.
Hildegard wendet sich an den Polizisten: »Jakob, also unser Sohn, würde niemals so lange von zu Hause weg sein, ohne sich zumindest einmal zu melden. Er hat doch ein Handy. Das ist einfach nicht seine Art.«
»Haben Sie eine Verabredung gehabt, dass er sich zu einer bestimmten Uhrzeit meldet oder nach ein oder zwei Tagen?«
»Nein«, sagt Hildegard zu dem Polizist. »So etwas muss man mit Jakob nicht verabreden. Etwas stimmt nicht.«
»Er ist mit der Bahn gefahren, Interrail?«
»Ja.«
»Wie alt ist Ihr Sohn?«
»Achtzehn Jahre«, sagt Dengler.
»Halt doch mal die Klappe!«
»Ihr Sohn ist also erwachsen.«
»Ja.«
»Lass mich hier reden.«
»Wenn Ihr Sohn erwachsen ist, dann muss er sich nicht bei Ihnen melden. Er kann tun und lassen, was er will.«
»Aber das würde er nie tun! Ich meine, sich so lange nicht melden.«
»Gibt es Hinweise auf ein Verbrechen, auf ein Unglück?«
»Nein«, sagt Dengler.
»Doch«, schreit Hildegard. »Er meldet sich nicht.«
In diesem Augenblick summt Denglers Handy, und aus Hildegards Handtasche tönt eine Fanfare. Nervös zieht sie die Tasche auf ihren Schoß, nestelt den Reißverschluss auf und kramt umständlich in den Tiefen der Handtasche. Dengler zieht sein iPhone aus der Hosentasche. Eine SMS ist eingegangen.
Von Jakob.
Hi alle, ich bin gut in Barcelona angekommen. Alles prima hier. Essen super und Sonne pur. Gruß Jakob
Dengler schickt sofort eine Nachricht zurück.
Alles in Ordnung bei Dir?
Hildegard hat ihr Handy gefunden und aus der Handtasche gekramt. Sie liest die SMS , drückt sofort auf die Rückruftaste, drückt den Apparat ans Ohr und lauscht, während sie mit einem Fuß einen unruhigen Takt auf den Boden des Stuttgarter Polizeipräsidiums klopft.
Der Beamte, erstaunt, dass ihm die Aufmerksamkeit der beiden plötzlich entzogen ist, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und sieht fragend zu Dengler, der kurz die Hand hebt als Zeichen, dass etwas Entscheidendes stattfindet.
Hildegards Trommeln auf dem Fußboden wird fester. Als die Mailbox in Jakobs Handy anspringt, unterbricht sie die Verbindung und wählt erneut Jakobs Nummer.
Auf dem Display von Denglers Handy erscheint erneut eine SMS :
Alles prima, melde mich demnächst ausführlicher. Gucken jetzt die Stadt an. Jakob
Hildegard wählt zum dritten Mal die Nummer ihres Sohnes. Erneut nimmt er nicht ab, sondern die Mailbox meldet sich. Sie unterbricht erneut, schüttelt den Kopf und sagt: »Das verstehe ich nicht.«
Dengler streckt sein Handy dem Polizisten entgegen, sodass er die beiden SMS von Jakob lesen kann. Der Polizist nickt und lächelt.
»Wieso nimmt er nicht ab?«, fragt Hildegard.
»Das war’s dann wohl«, sagt der Polizist und steht
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