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Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Titel: Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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aufgefallen war, wie unruhig die anderen Hühner wurden, wenn die Oma eines von ihnen aus dem Auslauf trug.
    »Igitt! Deine Oma hat das Huh geschlachtet?« Laura zog eine Grimasse.
    Jakob ließ sich davon nicht beeindrucken. Seine Oma schlachtete. Das tat sie. Sie redete beruhigend auf das Huhn ein und hielt es so, dass der Kopf auf dem Klotz lag. In einer Hand hielt sie das Beil, und Jakob wusste genau, dass jetzt gleich ein wuchtiger, schneller Schlag folgen würde, der dem Tier den Kopf vom Rumpf trennte. Aber was ihn immer wieder schauern ließ, war, dass die Oma das Huhn dann losließ, und jedes Mal rannte das Vieh flügelschlagend davon – ohne Kopf. Erst nach ein paar Schritten fiel es tot um. Eines flog sogar ohne Kopf davon und landete auf dem Dach. Die Nerven, hatte sein Vater ihm erklärt, das sind die Nerven, die funktionieren noch, obwohl das Huhn nicht mehr lebt.
    »Merkwürdig, das Leben«, hatte Laura leise gesagt.
    Durch diese Bemerkung ermutigt, erzählte Jakob ihr, was ihn noch mehr verwundert und nachdenklich gestimmt hatte. Denn jedes Mal, wenn die Oma mit einem Huhn unter dem Arm das Gehege verließ, waren die anderen Hühner ganz verrückt geworden.
    Verrückt?
    Ja, ganz außer sich. Die Hennen standen vor dem Zaun und starrten in Richtung Hackklotz. Sie gurrten auf eine Art, wie ich es noch nie von ihnen gehört hatte. Ich dachte, sie wüssten, dass eine von ihnen jetzt sterben würde. Aber das war es nicht. Sie liefen geduckt am Zaun auf und ab und einige wurden so verrückt, dass sie sich unter dem Zaun hindurchquetschen wollten. Es herrschte Unruhe und Aufregung wie nie.
    Und warum?
    Sie wussten, was passiert. Sie wussten, dass eine von ihnen stirbt. Vor allem aber wussten sie, dass meine Oma ihnen dann die Gedärme ihrer toten Schwester über den Zaun werfen würde. Sie stürzten sich mit einem wahnsinnigen Geflatter und Gegacker darauf. Sie warteten darauf. Ich stand am Zaun und versuchte das zu verstehen.
    Das Leben ist verrückt.
    Jakob schwieg.
    Das war der Anfang ihrer Freundschaft gewesen. Sie sahen sich seit diesem Tag öfter, immer öfter – und in der Schule dachten einige, sie seien ein Paar. Aber es gab keine Verheißungen mehr. Kein intimes Zeichen des Vertrauens. Sie waren Kumpels geworden.
    Dann brachte Laura eines Tages Simon mit. Und Jakob wurde klar, dass Laura noch ein weiteres Leben führte, ein Leben, von dem er nichts wusste und in das sie ihn nicht eingeweiht hatte. Mit Simon tauchte Cem auf. Die beiden spielten im gleichen Handballclub. Cem bewunderte Simon, und obwohl Cem größer und stärker war, ließ er sich Simons Kommandoton mit erstaunlicher Geduld gefallen.
    Irgendwann waren sie zu viert unzertrennlich. Sie sahen sich jeden Tag, und unter Lauras umsichtiger Führung diskutierten sie »über das Leben«, wie sie sagte. Und diese Diskussionen hatten sie in dieses Gefängnis geführt. Es würde eine unvergessliche Episode ihrer Freundschaft werden. Sie würden sagen: »… damals, als die Rocker uns in der Putenmastanlage gefangen hielten«.
    Er sah zu Laura hinüber, die den Kopf auf Simons Schulter gelegt hatte. Die beiden schliefen. Jakob drehte sich zu Cem. Cem schlief nicht.
    »Etwas hier ist unheimlich«, sagte er leise.

22. Stuttgart, Café Stella, morgens
    Dengler sieht zufrieden, wie die brünette Bedienung einen großen Wurstteller vor ihm auf den Tisch stellt, Leberwurst, Schinken, Räucherspeck, alles da. Olga serviert sie ein Müsli mit Joghurt und Früchten. Georg Dengler legt sich die Papierserviette auf die Oberschenkel, greift in den Brotkorb und schmiert dick Butter auf eine Scheibe Vollkornbrot, dann eine ebenso dicke Schicht Leberwurst. Er beißt hinein und lehnt sich entspannt zurück.
    Die Bedienung bringt ihnen beiden einen doppelten Espresso. Dengler schüttet etwas Milch in die Tasse, Olga einen Löffel Zucker.
    »Ich hatte eine Scheißnacht«, sagt Dengler. »Um drei Uhr rief meine Exfrrau an.«
    Olgas Augenbraue zieht sich nach oben. »Ach ja?«
    »Jakob hat sich ein, zwei Tage nicht bei ihr gemeldet. Das macht sie wahnsinnig.«
    »Hast du nicht erzählt, er wäre mit Freunden für ein paar Tage nach Barcelona gereist?«
    »Ja. Er wird erwachsen. Meldet sich nicht mehr jeden Tag bei der Mama. Das macht sie fertig. Sie begreift nicht, dass er kein Kind mehr ist.«
    »Und dann ruft sie ihren Exmann mitten in der Nacht an?«
    »Frauen sind manchmal nicht einfach zu verstehen. Aber ich muss ihr sogar fast dankbar sein. Ihr Anruf hat

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