Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
ihm ins Gesicht.
»Ich kann mehr auftreiben, Georg. Ich kann einen Kredit aufnehmen, Georg, ich habe Freunde, die leihen mir Geld. Ich bin verrückt vor Sorgen um mein Kind, ich hab die Nacht nicht geschlafen, während du …«
»Es reicht«, Dengler springt auf, der Stuhl fällt krachend auf den Holzboden.
Er nimmt Hildegard am Arm und zerrt sie zur Tür.
»Warte mal«, sagt Olga leise.
Dengler hält schwer atmend inne, lässt den Arm seiner Exfrau jedoch nicht los. Er sieht Olga an.
»Bist du sicher, dass ihre Sorgen unbegründet sind?«
»Sicher bin ich sicher. Jakob hat mir eben noch eine SMS geschickt.«
»Ich meine hundertprozentig sicher. Warum nimmt er keine Anrufe an, nicht von ihr und nicht von dir?«
Dengler lässt Hildegard los. Sein verzerrtes Gesicht glättet sich. Er geht zurück hinter den Schreibtisch, hebt den Stuhl auf und setzt sich. Er überlegt kurz, nimmt dann das Handy vom Tisch und schreibt eine Nachricht an Jakob.
Lieber Sohn, bitte vergiss nicht, dass Tante Klara am Dienstag Geburtstag hat. Du weißt, wie empfindlich sie ist, wenn man ihren Geburtstag vergisst. Papa
Er hebt das Handy hoch, damit Olga und Hildegard die Nachricht lesen können.
»Typisch«, schimpft Hildegard. »mir hast du noch nie etwas von dieser Tante Klara erzählt.«
Dengler hebt die Hand, und Hildegards Wortstrom legt sich wie eine erschöpfte Windböe.
In diesem Augenblick klingelt es.
Niemand rührt sich. Alle drei starren auf das Handy.
Es klingelt erneut.
»Es tut mir leid«, sagt Hildegard resigniert. »ich weiß wirklich nicht mehr aus noch ein.«
Sie sammelt die Geldscheine vom Boden und von Denglers Schreibtisch ein.
Es klingelt noch einmal. Nachdrücklicher.
In diesem Augenblick summt Denglers Telefon. Er nimmt es und liest die eingegangene Nachricht. Er hebt das Handy hoch, sodass Hildegard und Olga sie auch lesen können.
Gut, dass du mich erinnert hast. Hätte es sonst glatt vergessen. Ausnahmsweise werde ich am Dienstag anrufen und Tante Klara gratulieren. Hier ist es ansonsten warm und alles prima. Jakob
»Es tut mir leid«, sagt Hildegard und stopft die Geldscheine in ein Fach ihrer Handtasche. »Immerhin telefoniert er ja dann mit deiner tollen Tante Klara.«
Dengler wischt über die Schreibtischunterlage und sieht erst Olga, dann Hildegard in die Augen.
»Es gibt keine Tante Klara«, sagt er leise.
26. Hof des Bauern Zemke, Nähe Oldenburg, vormittags
»Wir wollen endlich hier raus«, sagt Laura.
»Zumindest wollen wir Zähne putzen und duschen«, sagt Simon.
Das Walross schweigt und stellt das Gleiche wie gestern auf den Tisch: Schwarzbrot, Butter, Marmelade, Wurst, Kaffee und Milch.
»Von dem Fraß nehmen hier alle ab«, sagt Laura. »Immer noch keine Sojamilch. Der Service in diesem Hotel ist mies.«
Sojamilch! Auch die hatte Jakob durch Laura kennengelernt. Als er zufällig zur gleichen Zeit wie Laura eine Freistunde hatte, gingen sie zusammen zum Rotebühl-Platz und tranken einen Kaffee. »Probier mal«, sagte sie und kippte Milch aus einer kleinen Flasche, die sie in der Tasche bei sich trug, in seinen Kaffee.
»Sojamilch«, sagte Jakob.
»Ich habe neue Erkenntnisse. Es reicht nicht, einfach kein Fleisch zu essen. Wir müssen vegan leben.«
»Ist das nicht ein bisschen übertrieben?«
»Wenn wir wirklich etwas verändern wollen, dann müssen wir doch konsequent sein.«
Cem leistete am längsten Widerstand. »Okay. Lederschuhe ziehe ich sowieso nicht an. Aber du meinst: keine Milch, keine Eier und keinen Ledergürtel? Mein Frühstücksei ist heilig. Laura, das vermasselst du mir nicht.«
»Schau mal, Cem. Sollen wir unterstützen, und zwar mit unserem Geld, dass männliche Küken der Hühnerrassen, die zum Eierlegen gezüchtet werden, vergast oder zerschreddert werden? Bei lebendigem Leib? In der Zucht für die Eierproduktion sind männliche Küken, ähnlich wie männliche Kälber in der Milchproduktion, ein unerwünschtes Nebenprodukt. Männliche Küken in der Legehennenzucht sind unprofitabel und werden selektiert. Ich habe Filmberichte gesehen, wie sie am Fließband aussortiert und dann vergast oder zerhäckselt werden – ebenso alle Küken, die nicht rechtzeitig innerhalb eines vorgegebenen, von der Wirtschaftlichkeit diktierten Zeitfensters schlüpfen – weibliche wie männliche. 45 Millionen Küken sterben so allein in Deutschland jedes Jahr als Nebenprodukt der Eierindustrie.«
Cem seufzte.
»Natürlich nicht. Kann man nicht unterstützen.«
»Du
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