Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
mich aus einem schlimmen Albtraum gerissen. Aber noch schlimmer war, dass ihr Anruf mich an ein Erlebnis erinnert hat, das ich als junger Polizist beim Bundeskriminalamt hatte.«
»Hast du mir davon schon erzählt?«
»Nein. Ich war erst einige Monate im Dienst, als ich zum Personenschutz für einen Chefbanker abkommandiert wurde. Also wieder mal im Personenschutz einspringen. Das kam öfter vor. Aber an diesem Tag ...«
Sie legt ihm die Hand auf den Arm.
»Es war ein Konvoi. In dem ersten Wagen saß ich mit zwei privaten Sicherheitsleuten. Dann kam der Mercedes des Bankers, und dann folgte noch ein Wagen mit Begleitschutz. Plötzlich eine gewaltige Explosion: Hinter uns der zerfetzte und rauchende Wagen des Bankers. Stopp, anhalten, schrie ich, aber der Fahrer gab Gas. Ich schrie, er solle anhalten. Aber er fuhr einfach mit hohem Tempo weiter. In einer Kurve öffnete ich die Tür und ließ mich aus dem Auto fallen. Und rannte zurück zum Tatort. Zwei Männer hielten mich fest. Ich sah, wie der Begleitschutz den Fahrer des Bankers rettete. Ihn selbst nicht. Er ist im Fond des Mercedes’ verblutet.«
»Und weiter?«
»Das Attentat wurde später der RAF zugerechnet, den Terroristen. Man trieb einen Zeugen auf, der zugab, die Mörder beherbergt zu haben. In Wirklichkeit war dieser Mann aber ein V-Mann des hessischen Verfassungsschutzes. Später zog er alle seine Aussagen zurück.«
»Und du?«
»Ich habe Fragen gestellt. Ziemlich viele. Dann wurde ich zum Gespräch gebeten. Ich solle aufhören, Unruhe zu stiften. Etwas stank zum Himmel, aber ich begriff nicht, was. Dann verdrängte ich die Sache, mehr oder weniger.«
»Bis jetzt?«
»Ja. Bis jetzt. Denn plötzlich sind alle wieder da, die dieses Attentat vertuscht haben. Die Mordserie dieser rechtsradikalen NSU ...«
»Was ist damit?«
»Alle tauchen wieder auf. Der Beamte des hessischen Kriminalamtes ist jetzt stellvertretender Leiter des thüringischen Verfassungsschutzes. Der Richter ...«
Olga blickt ihm in die Augen. »Du mit deinen ständigen Albträumen. Warum bist du nicht zu mir gekommen?«, sagt sie. »Ich wohne nur eine Treppe höher.«
»Du hättest dich vor mir gefürchtet. Ich hab in den Spiegel geschaut.«
»Unterschätz meinen Mut nicht. Du musst dich diesen alten Geschichten stellen. Das alles verfolgt dich in deinen Träumen bis heute.«
Sie lächelt. Dann lehnt sie sich zurück. »Und ich weiß auch: All das wird dich weiterhin verfolgen, solange du nicht Licht und Klarheit in diese Dinge gebracht hast. Was hat man euch denn damals erklärt? Habt ihr nicht nachgefragt, warum, weshalb, wieso?«
»Doch, natürlich. Ich hab alles versucht. Alle Türen gingen plötzlich zu, wenn ich irgendwelche Ungereimtheiten zur Sprache brachte, nicht nur bei diesem Attentat, auch später, immer wieder. Es war so ... «
Dengler will noch etwas sagen, aber da bemerkt er, dass Olga zum Fenster starrt und ihr Rücken sich versteift. Er dreht sich zu der großen Fensterfront um, und für eine Hundertstelsekunde registriert sein Hirn, dass dort eine attraktive blonde Frau im Regen steht, sieht die Locken und den blauen Mantel, doch nach der Hundertstelsekunde spürt er, wie er wütend wird. Es ist Hildegard, die dort auf der anderen Seite der Glasscheibe steht.
»Wie nett. Deine Ex«, sagt Olga.
Dengler knallt die Serviette auf den Tisch und steht auf. Er nimmt seinen Regenschirm aus dem Ständer, verlässt das Lokal und tritt zu seiner Exfrau. Er hebt den Schirm über sie.
»Scheißwetter«, sagt er.
»Das ist typisch. Du sitzt hier mit einer deiner Gespielinnen, lässt es dir gut gehen, und unser Sohn ist dir egal.«
Dengler tritt instinktiv einen Schritt zurück. Hildegard steht wieder im Regen.
»Jakob macht Urlaub. Mit einigen seiner Freunde. Du musst dich daran gewöhnen, dass er erwachsen wird. Er meldet sich nicht mehr jeden Tag bei der Mama.«
Sie funkelt ihn böse an. »Ich gehe zur Polizei.«
Er hebt den Schirm wieder über sie. »Mein Gott, Hildegard, es ist schwer, wenn die Kinder eigene Wege gehen. Aber Jakob wird immer dein Sohn …«
»Red keinen Unsinn. Jakob hätte sich gemeldet. Irgendetwas stimmt nicht. Ich gehe zur Polizei.«
»Wenn du dich lächerlich machen willst, bitte.«
Er dreht sich um, geht zurück und setzt sich wieder an den Tisch. Demonstrativ nimmt er einen Schluck Espresso und schaut nicht mehr zum Fenster.
»Gemütliches Frühstück heute«, sagt Olga.
»Sie ist verrückt. Ich kann nichts
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