Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
einem Band in der gleichen Farbe wie das Kleid aus der Stirn gehalten. Wache Augen, Farbe Grün-Grau. Eine schöne Frau, immer noch. Die Falten auf Stirn und um den Mund sind ausgeprägt und geben ihr etwas Bitteres.
Sie sitzt auf der Couch. Er in dem Sessel gegenüber. Dazwischen ein kleiner indischer Tisch. Sie hat zwei Räucherstäbchen angezündet, deren Geruch Dengler nur schwer erträgt. Räucherstäbchen erinnern ihn an Hildegard. Auf dem Tisch steht eine japanische Teekanne aus rotem Porzellan mit einem eigenartigen Muster. Zwei kleine Tassen, zur Kanne passend. Sie hat ihm grünen Tee angeboten. Er würde gerne einen Schluck trinken, vielleicht nur aus Verlegenheit, aber als er die Tasse hochheben will, ist sie noch zu heiß. Also wartet er.
»Nun sind sie zusammen nach Barcelona gefahren«, sagt Dengler.
»Ja, mein Mann war ja gegen diese Reise. Aber ich habe Laura immer zu Freiheit und Selbstständigkeit erzogen. Dazu gehört auch, dass man im Jahr vor dem Abitur allein verreisen darf. Meinem Mann wäre es lieber gewesen, sie wäre mit einer Freundin verreist, so wie ich das in diesem Alter gemacht habe. Aber die Zeiten ändern sich, das musste er erst einmal lernen. Dass Laura mit drei Jungs gefahren ist, nun ja, da musste er etwas schlucken.«
Die Finger ihrer rechten Hand gleiten an den Holzkugeln, die lang um den Hals hängen, auf und ab.
»Ist sie mit einem von ihnen zusammen?«
»Mit Simon, ja. Am Anfang dachte ich, Jakob wäre der Glückliche, aber dann erschien Simon eines Tages.«
Dengler ärgert sich. Nur kurz. Wenn Jakob mit dieser Laura zusammen wäre, dann wäre sie die Glückliche. Eitle Eltern.
»Kurzzeitig dachte ich sogar, sie hätte mit beiden Jungs etwas.«
Sie stößt ein rostiges Lachen aus, das irgendwie in ihrem Hals feststeckt, und ihre rechte Hand gleitet dabei die Kette entlang.
»Ich hab Laura gefragt. Wir haben ein offenes Verhältnis. Ich kann mit meiner Tochter über diese Dinge reden.«
»Und was sagte sie?«
»Sie hat mich ausgelacht. Mach dir keine Sorgen, Frau Pfarrerin, kein Sodom und Gomorra. – Sie nennt mich manchmal ›Frau Pfarrerin‹, müssen Sie wissen.«
»Sie leiten die Pfarrei hier im Süden?«
Sie nickt. »Schon zehn Jahre. Nicht so einfach, hier im pietistischen Württemberg. Die Landeskirche ist nicht gerade …«
»Sie wissen, dass Laura und Jakob und die beiden anderen sich für Tiere einsetzen?«
»Für Tierrechte«, verbessert sie. »Ja, sicher weiß ich das. Ich bin sehr stolz, dass meine Tochter sich für eine bessere Welt einsetzt. Neulich hat sie vor dem Kaufhaus Breuninger dagegen protestiert, dass dort Pelzmäntel verkauft werden. An einem sonnigen Samstag. Ich meine, andere Töchter gehen an so einem Tag shoppen.«
»Sie wissen, dass die Kids in Mastanlagen eindringen und das Leben und Sterben der Tiere dokumentieren?«
Sie richtet sich auf und sieht ihn an. Sie nimmt die Hand von der Halskette, legt sie auf die Lehne der Couch und trommelt nervös mit zwei Fingern gegen den Stoff.
Sie weiß es nicht, denkt er.
»Es ist nicht illegal, aber doch gefährlich. Nun hat sich mein Sohn bei einer Tierschutzorganisation teure Kameras, Nachtsichtgeräte und Ähnliches ausgeliehen. Wissen Sie, was unsere Kinder damit in Barcelona aufnehmen wollen?«
Sie starrt ihn an. Dann steht sie auf, geht zu dem Sideboard, das unter dem Fenster steht, öffnet eine kleine Holzkiste und holt zwei neue Räucherstäbchen heraus, die sie zu Denglers Leidwesen anzündet und in eine mit Sand gefüllte Schale steckt, die sie auf den kleinen Tisch zwischen ihnen stellt. Dann setzt sie sich wieder auf die Couch.
»Stehen Sie in Kontakt mit Laura?«
Sie nickt.
»Haben Sie mit ihr telefoniert?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Sie schickt mir SMS .«
»Kommt Ihnen an den SMS irgendetwas seltsam vor?«
»Seltsam?«
»Schreibt Laura wie sonst auch?«
»Ja, sicher!«
»Weiß Ihr Mann, was die Kids vorhaben könnten?«
Dengler sieht, wie sich ihr Kehlkopf hebt und senkt. Sie versucht alles, um die Fassung zu wahren. Er hat immer gedacht, nur Männer hätten solch einen ausgeprägten Adamsapfel, aber das scheint nicht zu stimmen.
»Laura ist ein Papakind«, sagt sie leise. »Ein richtiges Papakind.«
Sie sieht ihn an, und Dengler beobachtet, wie ihre Augen feucht werden.
»Ich wollte ihr immer etwas Spirituelles mit auf den Weg geben, es musste nicht einmal religiös sein, aber ich wollte, dass sie auch eine transzendente Seite entwickelt. Aber das nimmt
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