Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
sehen ist.
Zufrieden dreht sie das Fenster wieder hoch und setzt sich in dem Sitz zurecht. »Was hältst du von Carstens Plänen für den Hof, Ökobauer Zemke?«
»Er ist übergeschnappt wie immer. Das ist alles völlig unrealistisch.«
Julia schaut ihn entgeistert an.
»Christian?«
Zemke gibt Gas und biegt auf die Schnellstraße ein. »Völlig unrealistisch, aber unsere einzige Chance.«
70. Straße vor dem Hof des Bauern Zemke, Nähe Oldenburg, mittags
»Wir lassen dich hier aus dem Auto aussteigen, du läufst auf diesem Weg dort zu dem Hof. Wenn du vor dem Wohnhaus stehst, schreist du, so laut du kannst: Ich will mein Geld. Ich will meinen Pass. So oft, bis die Deutschen aus dem Haus kommen. Hast du das verstanden?«
»Und wenn die mich wieder verprügeln?«
Der Landsmann mit der Sonnenbrille lacht. »Dazu werden sie nicht kommen. Verlass dich ganz auf mich.«
Kimi sitzt auf dem Beifahrersitz und sieht zu dem Gehöft hinüber. Er sieht das Wohnhaus und die lang gezogenen Schweine- und Putenställe. Er greift in die Hosentasche und zieht Adrians Plan heraus. Sein Freund hat den Plan gut gezeichnet. Die Landstraße, auf der sie jetzt stehen, der Weg zu dem Haus, sogar die Lage der beiden großen Schweine- und der drei Putenmastanlagen hat Adrian ziemlich exakt eingezeichnet.
Dort müssten Adrians Freunde sein. Wenn sie noch da sind. Er kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
Aber drüben auf dem Gehöft rührt sich nichts.
»Ich mache das. Ich gehe erst mal allein dort hin. Und du bist da, wenn die Deutschen aus dem Haus kommen, nicht wahr?«
»Genau so läuft es. Und ich bin nicht allein.«
71. Hof des Bauern Zemke, Nähe Oldenburg, mittags
»Das ist doch nicht normal«, sagt Ronnie.
Er nimmt eine Handvoll Stroh und wirft es den Schweinen zu. »Irgendwie müssen die sich doch beschäftigen. Schweine sind schlaue Tiere.«
»Grunz, grunz, Schweinchen Schlau. Ich mag sie lieber als Schnitzel.«
»So kann man Schweine nicht halten. Die brauchen was zum Spielen. Die brauchen Stroh. Die brauchen …«
»Was die brauchen, ist mir so was von egal. Ich bin heilfroh, wenn wir die Viecher nicht mehr füttern müssen.«
»Mein idealer Lebenszweck ist Schweinebauch und Schinkenspeck«, singt Ronnie. »Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mir macht das nix.«
»Ich hasse das.«
»Hey Ronnie, komm mal rüber, die Scheißputen spielen verrückt.«
»Sofort.« Vergnügt stellt der Rocker die Mistgabel zur Seite und folgt Marcus. Sie verlassen die Schweinemastanlage, gehen an dem Güllebassin vorbei, hinüber zu der ersten der beiden Puten-Mastanlagen. Sie betreten eine Art Büro und sehen durch ein großes Fenster auf das Heer der roten Putenköpfe. Am Rand liegen zehn tote Tiere. Die Puten in ihrer Nähe picken in die Kadaver.
»Irgendwas haben die Scheißvögel. Wenn die jetzt alle krepieren, ’ne Vogelgrippe kriegen oder so was, sind wir angeschmiert. Du bist doch der Bauer unter uns. Also, Ronnie, mach was.«
»Hey Mann, ich hab da keinen Plan. Meine Alten hatten einen Hof, bis ich zehn war. Dann mussten sie ihn aufgeben.«
»Red kein Stuss. Guck mal, hier stehen Medikamente rum. Mach die Vögel wieder gesund, verstanden?«
»Okay, Marcus, aber ich kann da echt nur improvisieren.«
»Mach sie wieder heil, Ronnie. Das ist ein Auftrag. Ich weiß nicht, wie lange wir hier noch bleiben müssen. Die Puten dürfen auf keinen Fall vorzeitig krepieren.«
Marcus geht mit steifen Schritten wieder ins Freie.
Ronnie geht zu den Säcken mit Medikamenten, liest die Aufschriften und kratzt sich am Kopf. Marcus steckt wieder den Kopf durch die Tür: »Ich verlass mich auf dich, Ronnie.«
Ronnie streicht sich mit der rechten Hand seinen Walrossbart glatt. Dann nimmt er einen Sack und trägt ihn hinüber zur Trinkwasseranlage. Er greift in den Sack, nimmt eine große Handvoll Pulver heraus und lässt es in einen Trichter rieseln. Dann sieht er interessiert durch das Fenster zu den Puten.
»Putt, putt, putt«, sagt er leise, als lausche er einem Klang aus Kindertagen nach.
72. Madrid, nachmittags
Dengler liest die Aufzeichnungen seines Sohnes.
Notizen zum Huhn
von Jakob Dengler
Ein Küken wiegt nach dem Schlüpfen 40 Gramm. Der sogenannte Züchtungserfolg besteht darin, dass es nach drei Tagen bereits 80 Gramm wiegt. Nach einem Monat erreicht es das 38-Fache dieses Gewichtes. Das Masthuhn wächst während der gesamten Mastperiode. Es ist quasi noch ein Teenager, wenn es geschlachtet wird.
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