Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
erfahrene Polizisten, beide über zwanzig Jahre dabei. Baumann spielte früher in der A-Mannschaft des BVC und träumte von der Karriere als Tormann. Er ging dann zur Polizei, weil er hoffte, im öffentlichen Dienst besser trainieren zu können. Nun spielt er immer noch Fußball, ist immer noch Tormann, allerdings in der Altherrenmannschaft seines Vereins. Willi Hanke dagegen ist eher der Typ für den Innendienst, er liebt Tabellen und Listen, und er schreibt gerne die Berichte für Baumann, der mit der Schreibarbeit nicht so gut zurechtkommt. Hin und wieder braucht Hanke wie jeder Mensch etwas Abwechslung, und er freut sich, mit Baumann Streife zu fahren. Selbst dann, wenn sie einen so seltsamen Auftrag haben wie heute.
Am Morgen war eine dringende Bitte des BKA gekommen, auf dem Hof des Bauern Zemke nachzusehen, ob dort nicht einige vermisste Jugendliche festgehalten und versteckt würden. Jeder im Ort kennt Christian Zemke. Es ist eine alteingesessene Bauernfamilie: Christian, jetzt allerdings auch nicht mehr der Jüngste, hat den Hof vom Vater übernommen und dann ganz auf modern gemacht, Schweinezucht im größeren Stil und neuerdings auch Puten.
Baumann und Hanke kennen die Zemkes von Kindesbeinen an. Man sieht sich sonntags in der Kirche, bei Hochzeiten, auf den Festen. Nicht dass sie eng befreundet wären, aber hier oben geht es ja gar nicht anderes. Im Laufe der Jahre hat man schon einige Schnäpse zusammen gekippt. Deshalb hat Hanke das Ermittlungsgesuch des BKA seinem Kollegen Baumann mit den Worten gezeigt: »Guck mal, jetzt drehen die vollständig durch.«
Zur Bürokratie innerhalb der Polizei haben die beiden eine feste, auf langjährige Erfahrung gegründete Meinung. Wenn man alle Vorschriften und Befehle, die sich die Sesselfurzer in Wiesbaden ausdenken, hier auf dem flachen Land tatsächlich ausführen würde, dann würde es keine Streifenfahrten und keine Einsätze geben. Alle Kräfte wären ausschließlich damit beschäftigt, Berichte an die oberen Stellen zu schreiben. Den ganzen Tag lang.
Also lachten die beiden, als sie das Fax des BKA aus dem Drucker gezogen und gelesen hatten. Andererseits: Das Bundeskriminalamt war das Bundeskriminalamt, und es kam nicht alle Tage vor, dass man sich mit einem Ersuchen hier an ihre kleine Dienststelle wandte. Eigentlich war es sogar das erste Mal. Also musste man zum Bauern Zemke rausfahren. Konnte ja auch nicht schaden, wenn man dem mal Guten Tag sagte. Baumann stoppt den Wagen vor dem Wohngebäude, stellt den Motor ab und zieht die Handbremse an.
»Lass mich den Schrieb schnell noch mal lesen«, sagt er und streckt die Hand aus. Hanke, der Pedant, öffnet eine Mappe und reicht ihm das Dokument in einer Klarsichthülle. Baumann liest, schiebt die Mütze nach vorne, um sich besser am Hinterkopf kratzen zu können, als die Tür aufgeht und Christian Zemke heraustritt und auf sie zugeht.
»Na, was macht ihr denn schon so früh hier? Ist doch gar nicht eure Zeit?«
»Christian, wir sind dienstlich hier. Vier Jugendliche aus Süddeutschland werden vermisst. Und wir müssen wissen, ob die hier auf deinem Hof versteckt werden.«
Die Verblüffung auf Zemkes Gesicht ist echt. »Ihr meint, ich hätte hier ein Pfadfinderlager oder so was?«
»Nein, Christian, wir haben den Auftrag, uns nach den vier Vermissten zu erkundigen.«
»Hier sind nur ab und zu die Rumänen zum Ausstallen der Puten. Aber das dauert noch ein paar Wochen, bis die wiederkommen.«
Baumann kratzt sich immer noch am Kopf. Ihm ist die Befragerei peinlich.
»Und noch ’ne Frage. Waren auf deinem Hof Rocker? Du weißt schon, so Typen mit Motorrädern. Die sollen hier gewesen sein.«
Zemke sieht Baumann an, sieht zum Hof zurück. Dann sagt er: »Ja, aber die sind schon wieder weg.«
»Die waren hier? Auf dem Hof?«
»Für eine Minute. Hatten sich verfahren und wollten wieder zurück auf die Autobahn. Waren auf dem Weg nach Hamburg.«
»Wir müssen unseren Job machen wie du auch. Nach den Jugendlichen wird von ganz oben gesucht. Da müssen wir …«
Zemke sagt plötzlich leiser: »Schon gut. Wollt ihr einen Kaffee? Meine Frau kann euch einen starken schwarzen …«
»Nix für ungut«, sagt Hanke. »Ich muss wieder zurück in die Stube. Formulare, Formulare – von der Wiege bis zur Bahre. Du weißt ja.«
Zemke sagt, immer noch leise: »Kommt schon, ein Kaffee schadet euch doch nix.«
»Nächstes Mal, Christian, das nächste Mal.«
»Meine Frau macht das wirklich gern für
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