Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
nach allem, was ich von ihm gehört habe, was mir Menschen erzählt haben, die ihm nahestanden, bin ich überzeugt, dass ihm dieser Satz selbst wichtig gewesen ist.«
»Das ist Bullshit, Mama. Du glaubst es doch selbst nicht, dass der Mann, den du nicht kanntest, diesen Unsinn für wichtig hielt. Du hältst ihn für wichtig. Aber Jesus hat den Toten doch verlassen, oder?«
Und schon waren sie mittendrin in einer ihrer philosophischen Debatten, die den Vater vom Tisch trieben. Laura lächelt. Sie freut sich auf zu Hause. Sie freut sich auf die Debatten mit der Mutter, die sie bisher oft genug unsäglich fand.
Cem denkt, dass in seiner Familie die Hölle los sein muss. Der Onkel ist aus Istanbul zurück, und der ganze Schwindel, dass er mit ihm gereist sei, schon längst aufgeflogen. Die Mutter wird verheult in einer Ecke sitzen, der Vater wütend durch die Wohnung tigern. Wenn das hier alles vorbei ist, wartet die nächste Katastrophe auf ihn. Er weiß nicht, welche schlimmer ist.
Simon sitzt da und murmelt vor sich hin: »Ich versteh das nicht.« Und dann wieder: »Ich versteh das alles nicht.« Er wird Ärger mit seinem Vater bekommen, aber irgendwie wird sich das schon wieder regeln lassen. Trotzdem: Das macht doch alles keinen Sinn!
Jakob versucht, sich in den Kopf des gefährlichen, des kleinen Rockers zu versetzen. Wie kommt der Kerl auf die Idee, ausgerechnet ihn, Jakob, vor der Fototapete zu fotografieren? Weil sein Vater ihn sucht! Das haben die Gangster mitbekommen. Sie wollen Papa ablenken. Deshalb das Foto. Aber woher wussten die überhaupt, dass sie allen ihren Eltern von der Reise nach Barcelona erzählt haben? Woher konnten die das wissen? Woher? Er grübelt, und ihm fällt nichts ein. Außer: Einer von uns muss geplappert haben. Aber wem gegenüber? Jemandem in der Schule? Jemanden in Cems oder Simons Handballverein? Und wie kommt das zu den Rockern? Er denkt nach, aber es ist, als würde er gegen eine Gummiwand rennen. Er kommt nicht voran. So sehr er sich anstrengt, er kommt nicht voran.
Da denkt er lieber etwas Angenehmes. Er imaginiert sich zurück, in die frühe Zeit ihrer Clique. Sie haben diese erste Phase die »Phase der Orientierung« genannt. Keine Tiere mehr essen! Verantwortlich leben. Sie waren eine eingeschworene Gemeinschaft. Sie ließen niemanden von außen herein.
Dann kam die »Und jetzt«-Phase. Cem stellte die Frage zuerst. »Und jetzt?«, fragte er. »Wir wissen jetzt, wie man richtig leben soll. Und? Was machen wir damit?«
Simon sagte, wenn alle Menschen so denken würden wie sie, dann wäre die Welt gerettet. Es gäbe Nahrungsmittel genug für alle, weil die Ressourcen nicht für die Viehzucht verschleudert würden. Kein Mensch auf der Welt müsse mehr hungern.
Jakob sagte, es gäbe viel weniger Krankheiten. Die Krebsrate würde sinken. Antibiotika würden nicht zusehends wirkungslos. Laura fügte hinzu, die Menschen würden sich besser fühlen, weil sie kein schlechtes Gewissen mehr haben müssten. Und die Umwelt würde nicht so verschmutzt werden. Das Nitrat im Grundwasser, das Ammoniak in der Luft. Vogelgrippe, Schweinepest, SARS – alles trugen sie zusammen.
»Und jetzt?«, fragte Cem. »Was machen wir mit unserem Wissen?«
»Wir müssen andere überzeugen«, sagte Laura prompt.
»Hach, die Pfarrerstochter spricht«, sagte Simon. »Ich hab keine Lust, Missionar zu werden.«
Cem: »Aber irgendwas müssen wir doch tun. Ich meine, das ist doch wie in einem Film: Eine kleine Gruppe von Forschern weiß, wie die Welt zu retten ist. Alle sind gegen sie. Trotzdem setzen sie sich ein.«
Simon: »Wir leben aber nicht in einem Film.«
Laura: »Cem hat recht. Irgendetwas müssen wir doch machen.«
Simon: »Guck dir doch die Nullen an unserer Schule an. Die sind zu dumm und zu bequem, um zu verstehen, was wir denken. Wir sind eine Art Elite.«
Cem: »Ich nicht.«
Jakob: »Ich auch nicht.«
Laura: »Was könnten wir tun?« Schweigen.
Simon: »Vielleicht könnten wir eine Website machen.«
Jakob: »Gibt es schon Tausende.«
Cem: »Wir müssen ganz normale Leute ansprechen.«
Simon: »Türken?«
Cem: »Warum nicht?«
Jakob: »Wir wenden uns an den gewöhnlichen Fleischfresser.«
Laura: »Und wo finden wir den?«
»An der Tiefkühltheke bei Edeka, Lidl, Aldi, Rewe und Metro.«
So wurde die Idee mit dem Aufkleber geboren.
Gelber Grund, schwarze Buchstaben, jedoch ohne den Balken der Stuttgart-21-Gegner.
»Esst kein Fleisch aus Massentierhaltung«, schlug Laura
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