Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
hinzu sowie die Slowakei, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien, Kroatien, Slowenien, Lettland und Ungarn. Diese Abordnungen aus Betrieben des ehemaligen Ostblocks sollten hier erleben, wie die westliche Marktwirtschaft funktioniert, um dann nach ihrer Rückkehr das hier Gelernte dort umzusetzen. Hier sollten sie Hilfsarbeiten verrichten, genau umrissene Aufgaben erledigen, eben sogenannte Werkverträge erfüllern. Es gab komplexe Verträge, die wir augenzwinkernd akzeptierten. So hieß es zum Beispiel in der deutsch-bulgarischen Regierungsvereinbarung: »Die Arbeitserlaubnis wird nur erteilt, soweit die Entlohnung des Werkvertragsarbeitnehmers (…) dem Lohn entspricht, welchen die einschlägigen deutschen Tarifverträge für vergleichbare Tätigkeiten vorsehen.« Für uns, die deutsche Fleischindustrie, war als Anreiz nur vorgesehen, dass wir für die osteuropäischen Arbeitskräfte keine Sozialversicherung zu zahlen brauchten, weil diese Leute ja in ihren heimatlichen Unternehmen versichert waren. Es sollte, so zumindest die Darstellung nach außen, Lohndumping verhindert werden.
Aber unter uns gesprochen: Jedem Eingeweihten war klar, was wir vorhatten, und die Bundesregierung machte ja auch mit. Schon nach wenigen Jahren beschäftigten wir Fleischleute an die 50000 osteuropäische Arbeiter. Wir wurden, wie gesagt, sehr, sehr reich dabei.
Heute beschäftige ich in meinen Firmen etwa zehn Prozent deutsche Arbeitskräfte in Festanstellung. Ich brauche die im Büro, an den Computern, in der Finanzbuchhaltung, zur Überwachung und Kontrolle. Das Zählen und Wiegen der gelieferten Schweine in der Lebendviehannahme macht natürlich jemand von uns, aber sonst …
Um Werkverträge abzuschließen, brauchen wir Partnerfirmen aus den osteuropäischen Ländern, so steht es zumindest in den Gesetzen und Verträgen. Aber diese Schlachtereien waren erstens bald pleite, zweitens gibt es in ganz Rumänien nicht so viele Schlachter, wie wir Rumänen beschäftigen wollten. Also gründeten wir selbst Firmen oder griffen auf rumänische Unternehmer zurück, die bereits im Personalgeschäft tätig waren. Kann sein, dass die auch illegale Sachen machten. Kann sein, dass die auch Frauenhandel betrieben. Es steht mir nicht zu, die Moralkeule über diese Länder zu schwingen. Außerdem kümmere ich mich nicht um die Wertvorstellungen der Leute, mit denen ich Geschäfte mache. Entscheidend war: Wir brauchten Firmen, mit denen wir Werkverträge abschließen konnten.
In unseren Firmen vergaben wir zunächst die Kuttelei an einen solchen Subunternehmer. Scheißarbeit, im Wortsinn. Die Därme werden in den Kellern gereinigt. Die ersten unserer Kellerkinder waren Polen, heute sind es meist Rumänen. Dann vergaben wir nach und nach ganze Produktionsabschnitte an die Subunternehmen mit den rumänischen Arbeitern. Reinigung der Organe, dann die Verpackung. Schließlich das Zerlegen selbst.
Früher hatten wir beim Zerlegen fünfzehn teure Metzgergesellen mit ein paar Hilfsarbeitern am Band stehen. Die hatten eine Lehre gemacht und mussten womöglich mit ihrem Lohn Frau und Kinder ernähren. Meist waren das Bauernkinder aus der Umgebung, sie kannten sich mit Fleisch aus. Wir zahlten damals Stundenlöhne um die dreißig, vierzig Mark. Jeder von denen in der Gruppe verdiente gleich viel. Deshalb hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Auch gegen uns. Jeder von denen konnte alles machen: Grobzerlegen, Feinveredlung, Schinken auslösen, Oberschalen rausschneiden. Einerseits Profis. Andererseits teuer.
Wir haben sie alle entsorgt. Altersbedingt die einen, Hartnäckige in die Kuttelei versetzt, bis sie von sich aus kündigten, und so weiter. Wo früher fünfzehn Fachkräfte standen, stehen heute sechzig ahnungslose Ostarbeiter. Die schneiden rechte Augen aus, zwölf Stunden am Tag. Die zwacken den linken Fuß ab, die entfernen die Borsten an der Brühanlage, zwölf, fünfzehn Stunden am Tag. Zerteilen in zwei Hälften – das kriegt der blödeste Rumäne hin.
Für uns hatte das zwei Vorteile: Wir steigerten die Produktivität durch Arbeitsteilung. Wo früher fünfzehn am Band standen, stehen heute sechzig. Die Geschwindigkeit des Bandes verdreifachte sich.
Und die Leute kosten ja nix.
93. Café am Platz vor der Kathedrale, Barcelona, vormittags
»Dengler, Gratulation! Die Nummer, die du mir gegeben hast, ist heiß. Sie gehört zu einem Ring von Mädchenhändlern. Organisierte Kriminalität vom Feinsten. Eine Rockerbande, die rumänische und
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