Amber-Zyklus 08 - Zeichen des Chaos: der Titel
beruhigte ich mich und schlief wieder ein. Später - viel später, wie es mir schien - kehrte ich nach und nach zurück, wie ein Stück Strandgut, das mit jeder neuen Welle auf dem Sand höher und höher gespült wird, bis ich endlich angelangt war. Ich sah keinen Grund weiterzugehen, bis mir bewußt wurde, daß meine Füße schmerzten. Dann richtete ich mich auf und zog mir die Stiefel aus, was vielleicht eine der sechs höchsten Freuden in meinem Leben war. Dann streifte ich mir eilends die Socken ab und warf sie in eine Ecke des Raums. Warum litt anscheinend niemand außer mir in meiner Branche unter wunden Füßen? Ich füllte die Waschschüssel, ließ sie eine Weile darin weichen und beschloß dann, für die nächsten paar Stunden barfuß zu laufen.
Schließlich stand ich auf, zog mich vollends aus, wusch mich und zog Jeans und ein purpurfarbenes Flanellhemd an, worauf ich besonders stehe. Eine Zeitlang konnten mir Schwerter, Dolche und Umhänge gestohlen bleiben. Ich öffnete die Fensterläden und sah hinaus. Es war dunkel. Wegen der Wolken vermochte ich nicht einmal anhand der Sterne zu beurteilen, ob es noch früher Abend oder schon früher Morgen war.
Im Flur draußen war es sehr still, und ich hörte keinerlei Laute, während ich die rückwärtige Treppe hinunterstieg. Die Küche war ebenfalls verlassen, die großen Feuerstellen waren abgedeckt und schwelten nur noch schwach. Ich wollte kein weiteres Aufhebens machen, sondern setzte lediglich einen Kessel für heißes Wasser auf, um mir einen Tee zu bereiten, während ich etwas Brot und Konfitüre ausfindig machte. Außerdem entdeckte ich in einem der begehbaren Kühlschränke eine Karaffe, deren Inhalt wie Grapefruitsaft aussah.
Während ich dasaß, mir die Füße wärmte und mich durch den Brotlaib arbeitete, wuchs mein Unbehagen. Ich nippte an meinem Tee, bevor ich erkannte, was es war. Ich hatte das Gefühl, daß ich unbedingt etwas tim müßte, doch ich hatte keine Ahnung, was das sein sollte. Jetzt hatte ich so etwas wie eine Verschnaufpause, und ich fühlte mich sonderbar. Also beschloß ich, wieder nachzudenken.
Als ich mein Mahl beendet hatte, hatte ich einige kleinere Pläne gefaßt. Als erstes begab ich mich in die Eingangshalle, wo ich sämtliche Hüte und Umhänge von Jasra entfernte und sie waagerecht legte. Später, als ich ihre steife Gestalt durch den oberen Flur zu meinem Zimmer trug, öffnete sich eine Tür, und ein trübäugiger Droppa sah mich Vorbeigehen.
»He, ich nehme zwei davon!« rief er mir nach.
»Das erinnert mich an meine erste Frau«, fügte er dann noch hinzu, bevor er die Tür wieder schloß.
Nachdem ich sie schließlich in meine Gemächer transportiert hatte, zog ich einen Stuhl heran und setzte mich vor sie hin. Trotz der grellbunten Kleidung, die Teil eines groben Scherzes war, war ihre etwas herbe Schönheit kaum beeinträchtigt. Sie hatte mich bei einer Gelegenheit in äußerste Gefahr gebracht, und ich verspürte kein Verlangen, sie zu einem Zeitpunkt wie diesem zu befreien, damit sie die Vorstellung möglicherweise wiederholen könnte. Doch der Zauberbann, der ihr auferlegt war, fesselte meine Aufmerksamkeit aus mehr als einem Grund, und ich wollte ihn bis ins letzte durchschauen.
Dann machte ich mich daran, das Gebilde, das sie gefangenhielt, vorsichtig zu untersuchen. Es war nicht allzu kompliziert, doch mir wurde klar, daß die Erforschung sämtlicher Seitenstränge einige Zeit in Anspruch nehmen würde. Nun gut. Ich hatte nicht die Absicht, jetzt aufzuhören. Ich schob mich weiter in den Bann hinein und machte mir dabei im Geist Notizen.
Ich war stundenlang beschäftigt. Nachdem ich den Zauberbann gelöst hatte, beschloß ich, meinerseits noch einen eigenen zu verhängen - in Anbetracht der Zeiten, wie sie nun einmal waren. Während ich arbeitete, erwachte die Burg um mich herum. Ich schuftete stetig weiter, während der Tag voranschritt, bis alles an Ort und Stelle und ich mit meiner Arbeit zufrieden war. Außerdem war ich dem Verhungern nahe.
Ich stellte Jasra in eine Ecke, zog mir die Stiefel an, verließ meine Gemächer und begab mich zur Treppe. Da es meinem Gefühl nach um Mittag herum sein mußte, sah ich in verschiedenen Speisezimmern nach, in denen die Familie für gewöhnlich zu essen pflegte. Doch in keinem traf ich eine Menschenseele, und nirgends war ein Tisch für eine bevorstehende Mahlzeit gedeckt. Ebensowenig waren Anzeichen zu sehen, die auf eine vor kurzem aufgehobene Tafel schließen
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