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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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quetschten ihn da und teilten Mama schließlich mit, er sei an einem schweren Herzanfall gestorben, wie sie mir später sagte.
    »Herzallerliebste, so war es wohl am besten: in der einen Minute noch voll da, in der nächsten fort für immer«, kommentierte sie und klang dabei wie Pappi. Bevor die ganzen Leute bei uns reinplatzten, schickte mich Mama ins Schlafzimmer, um auf Boob aufzupassen, die dort drin bleiben sollte. Boob wachte erst auf, als sie das »klump, klump, klump« der schweren Stiefel im Gang hörte. Ihre Augen waren schreckgeweitet.
    Ohne Ausdruck im Gesicht erzählte ich ihr, daß mit Pappi was nich stimme, sagte aber nich, wie es wirklich stand.
    »Ich möchte zu ihm, wenn er krank ist«, verlangte Boob.
    »Nix da, Boob. Die bringen ihn grad ins Krankenhaus, kannst jetz nich mit ihm reden.«
    »Was fehlt ihm?«
    »Weiß mans?«
    »Besuchen wir ihn morgen?«
    »Weiß mans?«
    »Warum darf ich nicht zu ihm?«
    »Eben darum.«
    »Ist er tot?« Mit der Frage verblüffte sie mich, denn obwohl Boob nen scharfen Verstand hat, hätte ichs ihr doch nich zugetraut, so schnell zu schalten.
    »Es geht ihm schlecht. Jetz krieg dich wieder ein!«
    »Hat jemand auf ihn geschossen?«
    »Boob, nein!«
    »Warum darf ich ihn dann nicht sehen?«
    »Boob, bitte!«
    Sie fing an zu flennen und wollte mich wegschubsen, aber ich war gnadenlos und hockte mich schließlich auf sie drauf, damit sie nich ausm Bett kam. Sie jaulte wie ein Äffchen, daß sogar ein Bubi in Blau mal bei der Tür reinschaute. Er sah uns an, als hätte er uns bei was erwischt, das verboten ist, als würde er uns hassen. Boob rief ihm zu: »Wo ist mein Pappi?« Darauf schloß er die Tür wieder. Boob versetzte mir danach einen sehr heftigen Stoß. Ich rutschte von ihr runter, während sie schrie: »Ich hasse dich! Ich hasse dich!« Allerdings schaffte sie es nich ausm Bett; ich drückte ihr ein Kissen aufs Gesicht, damit das Geheul nicht mehr so laut war. Da saß ich nun und versuchte, reinen Tisch in meinem Kopf zu machen, aber auch mir war alles zu viel. Ich wurde todtraurig, nich wegen Pappi, das brauchte noch, nein, tief drin tats mir so weh, daß Boob gesagt hat, sie hasse mich. Hatte sie noch nie gesagt, sogar wennse stocksauer war. Wie sehr ich mich auch taub gegenüber allem stellen wollte, das hörte ich immer und immer wieder. Nach einer guten Stunde schließlich waren alle weg; Mama kam zu uns und schloß die Tür hinter sich.
    »Ach, Engelchen!« Sie erzählte uns von Pappi, obwohl wirs im Endeffekt ja beide schon wußten. Wir klammerten uns an sie, weinten, legten uns zusammen hin, auch wenn keiner richtig schlief. Ich weiß noch genau. Stundenlang lag ich da, starrte an die Decke und ärgerte mich darüber, wie bizarr und furchtbar alles war. Vor ein paar Stunden noch war Pappi bei uns, jetzt ist er weg und nie wieder kommt er zurück, nie wieder werden wir ihn sehen. Ich versuchte, an nichts zu denken, Anne, aber das haute nich hin, Pappis Gesicht tauchte ständig auf und wollte nicht verschwinden. Ständig versuchte ich mich zu erinnern, was das letzte gewesen ist, das er zu mir gesagt hat: ob ich ihm helfe beim Abwasch. »Ja, später«, habe ich geantwortet, habs aber nie getan. Wenn ich auch noch nie ernstlich übern Himmel und so nachgedacht habe, fragte ich mich nun doch, wo Pappi hin ist, jetzt, wo er tot ist, falls man da überhaupt irgendwo hingeht. Meine Wangen wurden naß und nässer; ich drehte mich schließlich aufn Bauch, wo ich nix mehr sehn konnte, nich mal Pappis Gesicht.
    Die Beerdigung war Sonntag in der Früh. Weil er ja Verbandsmitglied war, zahlten die für die Beisetzung, was uns sehr freute, weil wir ihn sonst einfach irgendwo hinschmeißen hätten müssen, schätz ich. So wurde er in einer einfachen Holzkiste in einem Beerdigungsinstitut verbrannt. Der Kamin rauchte bereits, als wir hinkamen. Wenn jetzt Asche vom Himmel fällt, stell ich mir immer vor, Pappi bröselt auf mich runter. Mama teilte uns mit, daß es ne Familiengrabstätte gäbe, draußen in nem Mausoleum in Queens, aber da man da jetzt wegen des Krieges nich ran kann, hat sie eine neue organisiert in Woodland, das ist in der Bronx. Außer uns und den Beerdigungsfritzen und dem Sprecher der Liga für Ethische Kultur kamen noch ein paar Freunde von Pappi und Mama, ein paar Schreiber, ein paar Lehrer, ein paar kannte ich nich. Sein Agent war jedenfalls nich da, weil der gerade nen Abschluß bei der Paramount machen mußte. Excelsior war auch nicht

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