Ambient 02 - Heidern
habe ich Chrissie auch gesagt, Süßes, aber du kennst sie ja. Wenigstens mich läßt sie mit dem Vorschlag in Frieden, denn mich einzuladen hieße, Mord und Totschlag zu provozieren.«
»Aber wir bleiben doch hier wohnen, oder?«
»Aber ja, mein Engel, obwohl ich noch keinen Schimmer habe, wie es weitergehen soll, jetzt, wo es noch schwieriger wird für uns.«
Ich redete ihr gut zu und erklärte ihr, daß alles schon gutgehen würde, aber sie sah mich bloß an und lächelte so halb. Ich schwebte irgendwie die ganze Zeit, während Mama mich in ihren Chrissie-Plan einweihte. Aber so mies, daß ich zu Chrissie ziehen muß, kann es mir mein ganzes Leben lang nicht gehen.
Pappi hatte keine Lebensversicherung; die hat er sich schon vor langer Zeit auszahlen lassen. Vom Schriftstellerverband kriegten wir ein wenig Geld, das Pappi dort eingezahlt hatte, aber übertragen auf das neue Geld isses noch weniger als ohnehin schon. Aber wir könnens uns eh nich aussuchen, also müssen wir nach Gefühl weiterwurschteln und schaun, was so läuft.
Iz rief am Samstag an, um zu fragen, wann wir uns träfen. Also mußte ich ihr sagen, daß es nicht ging und auch warum. Es machte ihr was aus, daß sie Pappi nur für Sekunden kennengelernt hatte, letzten Samstag, gerade als er zur Arbeit losging. Als ich mit Iz redete, brach ich plötzlich in Tränen aus und weinte laut, aber nicht lang, Tränen helfen nicht. Sie sagte, sie verstehe mich schon. »Was ist eigentlich mit deinem Vater geschehen, Iz?«
»Verkrebst. War noch klein, drei oder vier. Ich weiß nix mehr, bloß daß er große Hände hatte und lächelte.«
»Hast du ihn geliebt?«
»Klar, warum fragst du?«
»Vielleicht hab ich Pappi nich genug geliebt.« Das glaubte ich nun selbst nur halb, aber möglich wärs ja.
»Mädel, wo hast du deine Birne? So was zu sagen!«
»Okay, schon gut, habs halt so vor mich hingedacht.«
»Lola, du bist verrückt!«
»Weiß schon, Crazy Lola, mein neuer Name.« Es bricht schon wieder aus mir raus, Anne, ich hör jetz besser auf.
4. Juni
Wir haben uns eingerichtet. Boob wird bei Chrissie bleiben. Sie und Mama telefonierten in einer Tour und haben die nötigen Details ausgeknobelt. Der Trottel Alan schenkt Boob seine angesparten Gratis-Meilen für einen Flug nach San Francisco. Sie fliegt morgen ab Newark, dem einzig offenen Flughafen. Dann isse weg. Natürlich nich für immer, sagt Mama, aber wer weiß schon, wie lange es trotzdem sein wird. Alles dauert ewig, wenn man nicht weiß, wanns vorbei ist. Schätze, daß wir uns schon mal wiedersehn werden, aber dazwischen wird sich einiges tun, und wer wir dann sein werden, wenn wir uns wiedersehn, wer weiß. Mir geht Boob jetz schon ab; wie oft hab ich sie nach Weißgottwo gewünscht, aber jetzt, wos soweit is, will ich es gar nich. Aber was kann man machen?
Heute abend, ich und Boob. »Was willst du da draußen schon tun, außer zur Schule gehn?«
»Weiß ich nicht; aber ich bin in Sicherheit«, antwortete Boob, die ihren ›Foeti‹ umklammert hielt. Nix mehr da davon, nada, ein Klumpen noch mit einem Kopf.
»Niemand is je sicher, Boob. Isso. Is die Wahrheit.«
»Sagst du, aber ich bin in Sicherheit bei Tante Chrissie.«
»Mag sein, mag nich sein.«
»An mich kommt keiner mehr ran.«
»Wer will schon an dich rankommen?«
»Keiner mehr aus New York. Keiner aus der Schule, keiner von der Straße, keine meiner Freundinnen, keine deiner Freundinnen.«
»Und ich auch nicht.«
»Keiner hab ich gesagt, oder?«
»Sprich dich ruhig aus.«
»Na ja, du kannst auch nichts mehr mit mir tun.« »Was hab ich dir schon getan?« fragte ich und wurde schön langsam sauer.
»Weiß nicht, aber eines Tages, da würdest du mir etwas antun, soviel weiß ich schon!«
Boob wird sich inne zweite Chrissie verwandeln, da können wir machen, was wir wollen. Nicht daß Chrissie so ne Art zweites Kure-A-Kid am Laufen hätte, so was, das Lori umgedreht hat, sondern es is wohl mehr so genetisch. Vielleicht nervt Chrissie wenigstens Mama etwas weniger, jetz, wo sie Boob zum Ummodeln hat. Mama hat erzählt, daß ihr Chrissie schon wieder vorgeworfen hat, sie sei ne Rabenmutter, weil sie mich bei sich behalten will. »Ich habe ihr zwar erklärt, daß du auf keinen Fall gehen willst, Liebes, aber Chrissie weiß eben immer alles besser.« Mama hatte zu Chrissie auch noch gesagt, sie bete zu Gott, um herauszufinden, was richtig sei. Darauf Chrissie: Gott erhöre die Gebete von Juden zwar, aber nich die von
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