Ambient 02 - Heidern
Sie kommt mir sehr nett vor, nicht bloß, weil sie der erste Mensch war, der hier oben mit mir gesprochen hat. Weezie erscheint mir gefährlich, obwohl sie sich freundlich verhält. Jude ist auch okay, aber sie benimmt sich immer, als sei sie mit den Gedanken irgendwo weit weg. Schon komisch, wie man zu seinen Freunden kommt. Manchmal glaube ich, man sucht jemanden, der einem selbst sehr ähnlich ist. Deswegen komme ich wohl mit Iz am besten aus, obwohl sie auf den ersten Blick ganz anders wirkt als ich. Aber das täuscht.
Vier Tage noch, dann wird Lori aus dem Lager entlassen. Ich kann es kaum erwarten, sie zu sehen. Ob sie wohl mit Iz auskommen könnte? Wohl nicht, ich habe sie schon »Nigger« sagen hören, obwohl sie immer schwört, sie sei keine Rassistin und hat schon Buttons getragen und so was.
Schlaf gut, Anne.
12. April
Unsere Klimaanlage ist ausgefallen, also sind Boob und ich heute nacht fast geschmolzen. Aber wir gewöhnen uns besser auch daran, weil wir kein Geld haben für eine neue, abgesehen von den Sicherungen, die andauernd herausfliegen.
Mittags traf ich mich mit Iz, die schon gewartet hat. Heute war es ebenso heiß wie gestern. Iz trug ein Trägerhemdchen und enge Jeans, die sie dicker aussehen lassen, als sie wirklich ist. »Wo sind Jude und Weezie?«
»Gestern war Partytime; die schlafen noch wie tot. Kann nicht die ganze Zeit auf sie warten. Muß meine Zeit nutzen. Schon gegessen?« Ich schüttelte den Kopf. »Dann los. Aber nich beim Chinesen. Kein Bock auf Katze.« Sie zog einen Zehn-Dollar-Schein aus der Gesäßtasche. Ziemlich kompliziert! Wir bogen an der 125. ab und gingen in ein spanisches Restaurant. Iz bestellte zweimal Bohnen mit Reis am Tresen und zog uns zwei Coke aus dem Automaten. Wir setzten uns an einen Tisch, der nicht am Fenster stand und wischten die Krümel auf den Boden. Eine Schabe krabbelte über den Tisch, die Iz mit dem Daumen zerquetschte. Die Finger wischte sie sich dann an ihrer Jeans ab.
»Warum seid ihr wirklich hier rauf gezogn? Probleme mit Geld?« fragte sie mich, als die Bedienung den Reis und die Bohnen brachte.
»Ja. Mein Pappi ist Drehbuchschreiber, aber sie machen keine Filme zur Zeit, jedenfalls seine nicht. Darum sind wir praktisch pleite.«
»Er dreht Filme?«
»Er schreibt die Geschichten dafür.«
»Welche Filme?«
»Alle möglichen.«
»Was macht er, wenn er keine Filme schreibt?«
»Er arbeitet jetzt im Excelsior Buchladen in midtown.«
»Dammt, bin ich einmal rein da. Brauchte Bücher für Englisch. Die waren hinter mir her wie die Fliegen.«
»Der Besitzer ist ein Psycho.« Ich erzählte ihr die Geschichte von dem Bücherlift, wie er den Kopf dagegenhaute und »Leck mich leck mich« rief.
»Verdrehte Arschficker. Je irrer, desto besser bezahlt.«
»Deswegen waren sie wohl auch hinter dir her wie verrückt.«
»Deswegen? Nein, bloß weil ich schwarz bin. Zur Hölle mit denen.«
Nach dem Essen gingen wir Richtung Harlem, aber nicht wirklich hinein. Wo die U-Bahn oberirdisch verkehrt, gibt es all diese ausgebrannten Lagerhäuser und verlassenen Anwesen. Niemand sprach uns an, abgesehen von einer anderen Gruppe junger Burschen, die das Übliche absonderten. Obwohl es auch heute so heiß war, trug ich diesmal weite Jeans, damit keiner glauben soll, ich wäre heiß drauf. Umsonst, so wie Iz angezogen war.
»Schau scharf hier heroben. Weezie hat gestern fast zugestochn.«
»Aber ich habe ihr doch nichts getan.«
»Du hast ihren Hurenfummel gedissed.«
»Gedissed?«
»Schlecht gemacht.«
»Was sie anhatte, hatte sie an.«
»Wegen so einer Tour kriegt man eine Klinge an den Hals, genau.«
»Warum hat sie mich dann doch nicht geschnitten?«
»Du sollst bloß Angst habn, wissn, daß sie nicht blufft.«
»Wegen so was hätte sie mich wirklich aufgeschlitzt?«
»Weezie is irre. Trotzdem: Privatschulen kenn ich bloß aus dem Fernseh. Hier oben gilt, wer dissed, wird geschlitzt. Oder schlimmeres.«
»Soll ich mich entschuldigen?«
»Würd sie nur noch mehr ärgern. Vorbei ist vorbei. Keine Geschwüre deswegen.«
»Dich hat das alles nicht sonderlich aufgeregt.«
»Nein. Was soll ich tun? Weezie is schnell. Dein Kopf war ihr Kopf. Keine Lust auf Zoff mit ihr. Sie sticht erst, dann denkt sie.«
»Warum seid ihr dann zusammen unterwegs?«
»Freunde eben. Und: sie spielt vielleicht mal Profiliga.«
»Danke, daß du mir das erklärt hast. Ich hätte das alles nicht so eingeschätzt.«
»Klinge im Hals hätte Verständnis
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